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Marly den 1 Julli 1714.
Hertzallerliebe Louisse, vor etlichen tagen habe ich Ewer
liebes schreiben vom 14 Juni zu recht entpfangen. Ich konte Eüch
woll in echo andtwortten, den ich weiß warlich nicht, wie ich nicht
vor schrecken undt betrübtnuß todt niedergefallen bin. Waß ich
seyder dem alle tag leyde, ist nicht außzusprechen, wie Ihr schon
auß meinem letztem schreiben, so ich Eüch vor 8 tagen
geschrieben, werdet ersehen; aber ich weiß selber nicht recht, waß
ich Eüch geschrieben habe, so sehr setzt mich diß abscheüliche
unglück auß mir selber. Es ist woll daß gröste, so mir in dießer
welt hette begegnen können. Dieße liebe churfürstin s. hatt mich
durch dero gnädige schreiben auß manche betrübtnuß undt
hertzenleydt gezogen, so ich hir im landt entpfunden, aber nun lebe ich
ohne trost undt habe auch keinen nirgendts zu hoffen; also könt
Ihr, liebe Louisse, leicht errachten, waß vor ein ellendes undt
traweriges leben ich hinfüro biß ahn mein endt führen werde. Die
threnen hören auff, aber der innerliche schmertzen undt
trawerigkeit wirdt biß ahn mein endt wehren. Ich weiß selber nicht mehr,
ob ich Eüch geschrieben habe, liebe Louisse, wie ich diß unglück
erfahren undt wie man mirs durch meinem beichtsvatter hatt
ahnkünden laßen. Es kamme mir ein zittern ahn, alß wen man in
einem starcken fieber den frost hatt; ich wurde auch dabey bleich
wie der todt, war woll eine viertelstundt ohne weinen, aber der
ahtem fehlte mir, war, alß wen ich ersticken müste. Hernach
kammen die threnen heüffig undt wehrten tag undt nacht, darnach
wurde ich wider trucken undt erstickte, biß die threnen wider
heüffig kammen, daß hatt so bißher gewehrt. Waß mich wunder
nimbt, ist, wie ich so gesundt dabey bleibe, den ich bin gar nicht
[krank]. Man hatt mich schon 2mahl auff die jagt führen wollen,
ich habe mich aber nicht dazu resolviren können, den ich kan in
nichts in der weldt lust nehmen. Ihr habt woll recht, zu sagen,
daß mir dieße abscheüliche zeittung durch hertz undt seele
gedrungen hatt. Ihr seydt so gottsförchtig, liebe Louisse, daß, wen
mir gott der allmächtige trost undt erleichterung schicken solte,
würde ich es Ewerm gebett zuschreiben. Ich hoffe, das man Eüch
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meinen brieff von Hannover schicken [wird]. Weillen man ahn
monsieur de Martine geschrieben, daß man Eüch einen expressen
courier nachgeschickt, umb Eüch wider zu ruffen, meinte ich, daß
Ihr wieder zu Hannover sein würdet; aber ich begreiffe nur gar
zu woll, wie es Eüch ohnmöglich geweßen, wider umbzukehren,
umb ein so hertzbrechendes unglück zu sehen, so Ihr schon so
lang gefürcht. Ich habe woll gedacht, daß es Eüch würde gereüet
haben, nicht lenger geblieben zu sein. Ich glaube, Ihr habt weg
gemüst, weillen Ewer stunde noch nicht kommen war; den daß
leydt undt schrecken würde Eüch ebenso plötzlich umb leben
gebracht haben, alß unßere liebe churfürstin s. Aber man rufft mich,
in die kirch zu gehen. Dießen nachmittag werde ich dießen brieff
außschreiben, nur noch sagen, daß, wofern monsieur de Wersebé,
wie ich nicht zweiffle, durch Franckfort ginge, bitte ich Eüch, ihm
doch mein paquet vor ma tante abzufordern laßen, umb mitt zu
thun, wie ich Eüch in meinem letzten brieff gebetten.
Sontag nachmittags, den 1 Julli, umb 5 abendts.
Ich bin gleich nach dem eßen greülich geplagt worden mitt
allen meinen schuldenern,
[1] denen ich alle mont waß gebe, biß sie
gantz bezahlt werden, drumb fange ich so spat ahn, zu schreiben. Ihr
solt Euch kein scrupel machen, Ewere reiße fortgefahren zu haben;
den erstlich so kontet Ihr dieß unglück nicht vorsehen, weillen Ihr
ma tante s. in gutter gesundtheit verlaßen hattet, undt zum andern
so habt Ihr ja gott zu dancken, Eüch nicht dabey gefunden zu
haben. Daß gehen hatt daß schleünige unglück nicht verursachen
können, es muß ein schlagfluß geweßen sein, so unßer abscheülich
unglück verursachet,
[2] aber wie Ihr gar recht sagt, es war deß
högsten will, die liebe churfürstin abzufordern. Die zu gott gehen,
seindt nicht zu beklagen, aber woll die, so noch bleiben in dießer
bößen unleydtlichen weldt. Ach gott, mir selber hatte ma tante
offt geschrieben, biß
[3] sie einen schleünigen todt vor den besten
halte undt daß es eine schlegte sach seye, wen man im bett stirbt,
den pfarer oder prister auff einer seydt hatt undt den docktor auff
der andern seytten undt können doch nichts helffen; sie woll es so
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machen, daß sie dieß spectacle nicht geben wolle, hatt leyder nur
zu wahr gesagt. Mir hatt man nichts von Hannover bericht, aber
eine dame, so ich nicht kene undt madame de Robethon
[4] heist, so
Ihr gewiß woll kenen werdt, hatt alles ahn monsieur de Martine
geschrieben, sonsten wüste ich es nicht. Wen einmahl daß unglück
ahnfengt, ist kein endt dran, daß versuchen wir beyde woll leyder.
Aber dießes alles hatt ich nicht von nohten, umb die eytelkeit
dießer weldt zu lehrnen, große höffe seindt die besten schullen
dazu. Ach, liebe Louisse, wie weit bin ich von ma tante s. tugendten
undt verstandt!
[5] Ach nein, in dieser welt ist I. L. s. nichts zu
vergleichen. Mein gott, liebe Louisse, wie kan ich mich
ohnmöglich
[6] von dießem unglück wider erhollen? Ma tante war mein
eintziger trost in allen widerwertigkeytten hir, sie machte mir mitt
ihren lustigen brieffen alles leicht, waß mich auch ahm betrübsten
gedaugt
[7] hatt, sie hatt mir dadurch bißher daß leben erhalten.
Zudem vor waß solle ich mich conserviren? Ich bin niemandts
nichts nutz undt mir selber beschwehrlich. Dießen brieff werde ich
bestellen, wie Ihr mirs ahnweist, undt in ein par tagen will ich
Eüch einen schreiben, den will [ich] geradt nach Franckfort ahn
den residenten Gulman adressiren. Kompt selbiger auch zu recht, so
bitte ich Eüch, liebe Louisse, mir zu berichten, welcher von beyden
ahm lengsten unterwegen geweßen, damitt ich mich darnach richten
kan. Den ich pretendire, Eüch, liebe Louisse, fleißig [zu] schreiben;
Ihr seydts allein, die mir noch von alles, waß mir nahe undt lieb ist,
überig seydt in gantz Teütschlandt. Adieu, liebe Louisse! Ich weiß,
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wie Ihr zu beklagen seydt, den ich bin gewiß, daß ich fühle, waß Ihr
fühlet; aber in welchem standt ich auch sein mag, so werde ich
doch, so lang mein ellendes leben wehren wirdt, allezeit dießelbe
vor Eüch sein undt Eüch von hertzen lieb behalten.