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Brief vom 10. Juli 1714

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


654.


[406]
Marly den 10 Julli 1714.
Hertzallerliebe Louise, gestern hatt mir die fraw von Ratsamshaussen gegen abendt Ewr paquet gewißen undt daß schreiben vom 23 Juni überliefert. Der madame Bennigssen leyder gar betrübter brieff ist gantz gleichförmig undt eben wie der, so madame de Robethon ahn monsieur Martini unßer unersetzlich unglück berichtet hatte. Ewer erstes schreiben seyder unßern abscheülichen verlust habe ich zu recht entpfangen undt gleich sontag, den 1 dießes monts, drauff geantwort, zwey envelope drüber gemacht, die erste ahm residenten Gulman adressirt undt die zweyte ahn monsieur Meuville nach Strasburg, aber monsieur Martine hatt mir vor 8 tagen, alß ich zu Paris war, versprochen, Eüch meine brieffe zu geben undt überlieffern zu laßen, drumb werde ich ihm dießen brieff heütte schicken. Aber Ewer liebes schreiben ist abscheülich langsam gangen, er ist 17 gantzer tag unterwegen geweßen, liebe Louisse! Die brieffe müßen einen greülichen umbschweiff nehmen; der hertzogin von Hannover schreiben von Modene werden nicht so alt, undt ich glaube doch, daß es weytter ist, alß Geißenheim. Es ist woll recht verdrießlich, daß die posten so übel bestelt sein, den ich bin willens, Eüch hinfüro gar fleißig zu schreiben, sowoll umb zeittung von Eüch zu haben (den Ihr seydt mir ja nun nach meinen kindern, waß ich ahm negsten in dießer weldt habe) undt zu dem auch so hilfft es mich, mein Teütsch zu behalten, welches ich sonsten vergeßen würde, wen ich nicht offt schreibe. Es war gar nichts unrechts, noch übel geschriebenes in Ewerm letzten brieff von 14 Juni. Dießer ist aber geschwinder überkommen, den ich habe es den 29 entpfangen, wo mir recht ist. Ich hatte Eüch aber 8 tag vorher über Hannover geschrieben; mich wundert, daß Ihr dießen brieff den 23 noch nicht entpfangen hattet. Der brieff, wie Ihr secht, so über Franckfort gangen, ist doch ein par tag eher ahnkommen, alß daß über Trier. Ich will mich bey meiner dochter [407] informiren, ob sie eine post von Luneville nach Trier haben. Wen daß were, so glaube ich, daß die brieffe geschwinder überkommen konten über Luneville; wofern, wie schon gesagt, eine post eingericht ist, will ichs versuchen undt meiner dochter einen brieff vor Eüch schicken, aber hirmitt genung von den posten. Waß ich tag undt nacht au[s]stehe, kan ich Eüch unmöglich beschreiben, undt ich habe noch die qual, daß ich mich zwingen muß, den der könig kan keine trauerige gesichter leyden. Ich muß auch wider meinen willen auff die jagt; in der letzten weinte ich bitterlich, den der churfürst von Bayern kam zu meiner calesch undt machte mir ein compliment auff mein verlust, da konte ich nicht mehr halten, sondern brach gantz herauß, daß wehrte die gantz jagt. Ich sahe woll, das man mich drüber außlachte, aber es konte nicht anderst sein. Ob ich den zwar in der seelen betrübt bin, so werde ich doch nicht kranck; mein leib ist gesundt, aber meine seele ist, so zu sagen, kranck, den innerlich ist es, wo ich ahm meisten leyde. Liebe Louisse, wir können sagen, daß wir in Einem spital kranck [sind]; wie Ihr Eüern schmertzen beschreibet, so entpfinde ich den meinen. Konte man sein unglück nicht fühlen, so were keine soumission in den willen gottes von nöhten, den es ist leicht, sich zu soumettiren in waß man nicht entpfindt; aber sich in gottes willen zu ergeben in waß durch die seele dringt, daß halte ich von[1] größere meritten. Wen man so wenig schlafft, alß ich nun thue, hatt man auch zeit genung, zu reflectieren; auch lebe ich in dießem hoff wie eine solitaire,[2] ich bin nie im salon, wo die versamlung von alles, waß hir ist, sich auffhelt, ich spielle nie, bin allezeit in meiner cammer, wo ich leße oder schreibe; den wen ich die gründtliche warheit [sagen soll], so ist mir alles verleydt. Meine eintzige freüde, vergnügen undt trost wahren ma tante, unßer lieben churfürstin s., schreiben, aber daß ist ja nun leyder auch auß. Judiciret nun, waß mein leben sein kan! Ich hoffe, daß Eüch monsieur von Wersebé den brieff geben wirdt, welchen ich durch ihn ahn ma tante geschrieben hatte, wodurch Ihr sehen werdet, wie alleß hir ist, werdt Eüch alßden nicht wundern, daß ich so einsam lebe. Ich admirire Ewere gedult, Eüch die affairen von Ewerm schwager über den halß geladen zu haben; den mich deücht, daß es eine [408] langweillige sache ist. Ich halte es vor eine große kunst, affairen zu verstehen,[3] hette mich ohnmöglich dazu schicken können. Ich bilde mir ein, daß der fluß undt geschwer, so Ihr, liebe Louisse, ahn einem ohr habt, eben derselbe humor ist, so Ihr vor ein par jahren auff den augen gehabt habt; daß ist aber doch, gott lob, nichts gefährliches. Ich weiß es gar zu woll, liebe Louisse, daß betrübtnuß nicht sterben macht, sonst were ich all lengst todt. Vor daß golten schachtelgen initt Ewern schiffern ist ja nicht zu dancken; den Ihr wist woll, daß es eine rente ist undt daß ich Eüch versprochen, so lang ich lebe, alle jahr eine Versailler kirbe zu schicken.[4] Ich dachte aber woll nicht, daß es in so einer gar betrübten zeit ahnkommen würde. Ach, 2 tag vor unßerm unglück hatt ma tante s. auch noch eins bekommen, so I. L. gefahlen hatte, welches mich recht gefreüet hatte. Ach, dero schreiben war noch vom 7ten, konte mich also deß abscheülichen unglücks gar nicht versehen, bin also desto ärger erschrocken. Nein, ich weiß nicht, wie ich nicht vor schrecken undt leydt bin todt nieder gefahlen. Gott will, daß ich noch lenger leyden [soll]. Man muß sich woll in seinem h. willen ergeben. Gesundt bin ich noch, aber woll in der seelen betrübt. Ich wolte, daß Ihr Eüch so woll befündet, alß ich; wie es weitter ablauffen wirdt, wirdt man sehen. Madame de Berry kan sich nicht resolviren (undt hirin hatt sie recht), in dem apartement zu logiren, wo ihr herr undt schwager gestorben sein; also werde ich hin müßen.[5] Vielleicht werde ich die tritte person sein von der königlichen famille, so dort stirbt; werde die welt ohne regret quittiren, wolte nur, daß es auch geschwindt hergehen konte. Ich dancke Eüch, mir der madame Benigssen brieff geschickt zu haben. Wolte gott, hertzallerliebe Louise, ich konte Eüch zum trost dinnen [409] undt zu waß nutz sein! Ihr würdet baldt sehen, daß ich Eüch allezeit mitt warheit versichere, daß ich Eüch allezeit lieb behalte undt biß ahn mein endt behalten werde.
P. S.
Hirbey werdet Ihr der fraw von Rathsamshaussen andtwort finden.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 10. Juli 1714 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 406–409
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0654.html
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