Seitenbanner

Brief vom 15. Dezember 1718

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


976.


[469]
Paris den 15 Xbr 1718, umb 6 morgendts.
Hertzallerliebe Louise, wen ich sagen solte, daß ich Eüch heütte mitt frohligem hertzen schreibe, müste ich greülich lügen. Mein sohn hatt mir vergangenen montag einen gar zu großen schrecken eingejagt; den mitt allem dem prast[1] undt gethuns, so er nun hatt, hatt ihn zwischen 11 und 12 auff einmahl daß fieber ahngestoßen mitt frost. Er hatt gleich ein glaß kinkina[2] mitt dem pulver genohmen. Sein acces war, gott seye danck, sehr gelindt undt ohne kopffwehe, hatt nur 6 stundt gewehrt; abendts stundt er auff undt ging in die italliensche commedie. Vorgestern hatt er gar nichts entpfundten; gestern nachts hatt er wider ein klein ressentiement vom fieber gehabt, nur ein par stundt gewehrt. Er hatt mich in der seellen gejammert; den alß ich ihn vergangen montag fragte, worumb er daß kinkina so baldt genohmen, hatt er mir geantwortet: Parce que je n’ay pas le loisir d’estre malade. Zu allem glück war der montag nicht von den schwehrsten tagen, so er hatt, aber dinstag hatt er von 6 morgendt biß 9 uhr abendts gearbeydt; daß hatt ihm, glaube [ich,] nachts daß ressentiment geben. Ich laße Eüch gedencken, liebe Louise, wie mir dieß alles zu hertzen gehn muß; daß setzt kein gutt geblüdt, liebe Louise, undt ich sehe mein sohn auff alle weg undt weiß in lebensgefahr, wie Ihr auß dieße 2 gedruckte brieff,[3] so ich Eüch hirbey schicke, sehen [470] werdet, welche dieselben sein, so man in deß abgesanten von Spanien paquet gefunden. Dießer pr[ince] de Chellamare[4] ist ein boßer man, wie Ihr, liebe Louisse, auß dießen brieffen ersehen werdet. Es ist aber auch einmahl zeit, daß ich meine lamatationen[5] ende undt auff Ewer liebes schreiben vom 29 9br komme, wo ich verwichenen sontag geblieben war. Caffé deücht mir allezeit recht eckelhafft zu sein; er schmeckt, wie man einen stinckenden ahtem richt, undt daß eckelt mich abscheülich. Der verstorbene ertzbischoff von Paris roch eben so.[6] Drumb wirdt mir gleich kotzerig,[7] wen ichs nehme. Ich bin sehr eckelhafft, kan nie nichts schlucken, erwarte lieber mitt gedult, daß die natur selber operirt. Wir haben hir daß schönste wetter von der welt; ich spatzirte gestern, so viel meine sc[w]ache kräfften es erlauben, in madame d’Orlean[s] gartten. I. L. seindt wider gesundt, aber sehr schwach, wie leicht zu erachten, indem sie 10 tag la fievre continue mitt 2 redoublementen deß tag[s] gehabt hatt. Es war daß schönste wetter von der welt, die so[nne] war recht warm, recht wie im Meyen. Ich konte nur 2 tour thun, den ich bin auch noch schwach undt die trawerigkeit undt ängsten stärcken nicht undt ich muß [471] gestehen, daß ich seyder der entdeckung der spänischen händel habe ich mühe, mich wieder zu erhollen undt in ruhen zu [sein.] Der abgesante ist seyder vorgestern verreist.[8] Es ist gewiß, daß die tage nun sehr kurtz sein undt die kürtzten im gantzen jahr. Hir seindt viel krancken, insonderheit von flüßen; halßwehe, ohrenwehe undt zahnwehe ist gar gemein. Madame la duchesse ist courirt, ob alle docktoren sie zwar condemnirt hatten. Mein leib ist gesundt, aber der geist ist schwach undt bin traweriger, alß ich es mir mercken laße, den ich sehe kein endt ahn meines sohns unglück undt es war woll nicht umbsonst, daß ich unßers königs todt beweindt; den ich habe leyder woll gesehen, waß übels drauff erfolgen würde, den ich kene alle die bursch undt böße gesellen hir. Aber mein sohn ist so gutt undt zu wenig argwohnisch; wen man ihm wahrnt, kan er es nicht glauben, [bis] er es selber sicht, undt den ist es zu spätt. Aber last unß von waß anderst reden! Ich hatte nie gewust, daß Ewere fraw mutter noch 3 ander brüder gehabt, alß die 4, so ich gekandt. Freüllen Charlotte[9] kan nicht viel kinder hinterlaßen haben, den sie war ein alt jüngfergen, wie sie sich geheüraht hatt; sie war aber von allen schwestern [die,] so ahm wenigsten verstandt hatte, sie solle aber die haußhaltung undt affairen woll verstanden haben. Die fraw von Wollmershaußen war viel ahngenehmer, alß sie. Im himmel glaube ich sie woll; den da gehört nur glauben undt tugendt zu undt keine schlauigkeit. Ich glaube leicht, daß Ihr den graffen von Leiningen-Westerburg nicht gekandt habt. Es war gar ein junger mensch, kaum 19 jahr alt, war bey dem erbprintzen von Würdenberg[10] erzogen worden undt hatt seine reißen mitt I. L. gethan undt sein herr vatter hatt ihn hernach wider her geschickt, einen protzes zu führen gegen die verwitibte landtgraffin von Homburg undt ihre schwester. Ich habe woll geglaubt, daß Ihr den gutten sohn nicht kennen würdet, aber woll seinen bößen undt ungerechten vatter; ist ein großer, dicker, schwartzer man, ist schon ahn der 3ten ehe, unßer armer graff war von der zweytten ehe. Wen die stundte kommen ist, daß man sterben solle, muß eine verblendung kommen über alles, waß einem [472] daß leben retten könte. Es ist war, daß ich den printz von Durlach ahn den könig pressentirt habe; daß ich seinen groß herr vatter schier einmahl geheüraht hette, ist gar war, daß er mir aber gefahlen, ist die groste lügen von der welt, da war der gutte herr zu affectirt undt abgeschmackt zu. Es ist gar zu possirlich, wie dießer heüraht zu meinem großen trost zurückgangen, umb daß ich es Eüch nicht verzehlen solte, liebe Louise! Margraff Friederich hatte gantz ordendtlich ahngehalten bey I. G. dem churfürsten, unßerm herrn vatter, der gantz drin consentirt hatte. Margraff Friederich, deß printzen herr vatter, war auch freündt von I. G. die churfürstin, mein fraw mutter, wolte alßo seines sohns heüraht nicht ohne ihr consents thun, reißette derowegen expresse nach Cassel. Unterdeßen aber, daß dießer herr auff der post nach Cassel reist, kommen die Lotteringer mitt großen peltzen undt peltzen müßen[11] undt entführen in einem pfältzischen dorff alle pferdt weg. Die bawern versamblen sich mitt brüglen undt daß war eben, wie der alte margraff wieder von Cassel auff der post reydt. Die bawern nehmen ihn undt seine suitte vor die lotteringische offecir, so ihnen die pferdt gestollen, schlagen also mitt ihren brüglen getrost zu undt nehmen ihre pferdte. Der margraff meinte, es wer ein ahngestelte sach undt daß ihn der chur[fürst] brüglen ließe, weillen er meiner fraw mutter consentz geholt hette, brach den heüraht gleich undt schickt baron Croneck nach Holstein, selbige printzes zu fordern. Dießes war woll eine von den grosten freüden, so ich mein leben entpfunden. Der junge margraff schickte einen docktor nach Heydelberg; der kam alß von sich selber (wir wahren eben zu closter Neüburg) undt ließ mich fragen, ob ich ihm erlauben wolte, mittel zu suchen, den holsteinischen heüraht zu brechen undt sich wider, auffs wenigst sein herr vatter, mitt I. G. mein herr vatter zu vergleichen. Ich andtwortete, daß es mir leydt sein solte, ihn zu wehren, seinem herrn vatter gehorsam zu sein, daß er mir nichts schultig were, batte ihn sehr, seinen heüraht fortzuführen. Da secht Ihr woll, daß ich gar nicht verliebt von dießem herrn war. Wie ich die avanture hörte, fing ich ahn, zu lachen undt sagte: Vor margraff Friederich ist mirs leydt (den in der that hilte ich sehr viel auff dießen herrn); aber es were possirlich [473] geweßen, wen es dem jungen margraffen begegnet were. Nachdem wir alle beyde geheüraht wahren, hatt der arme herr mir in allen occasionen so viel freündtschafft erwießen, daß wir gutte freünde geblieben sein. Er hatt einen edelman nicht ahnnehmen wollen, weillen er übel von mir gesprochen, undt ihm daß landt verwießen, bin ihm also verobligirt geweßen. Die fraw von Rotzenhaussen hette dießen heüraht gern gesehen, sie [hat] sich mitt mir drüber brouillirt gehabt; mein bruder [hätte] den heüraht auch gern gesehen, den er hatte gehofft, dadurch die Catharine Barbe zu bekommen, von der er recht verliebt war. Da seydt Ihr nun von dießer historie völlig bericht, liebe Louisse! Churpfaltz hatt mir noch nicht auff der fraw Zachmanin [schreiben] geantwortet. Man sagt, daß der herr Steingens ahn Zachmans platz kommen wirdt. Ich weiß nicht, ob er deüchtig dazu ist; den es ist ein wunderlicher kopff. Von gedult speist, noch kleydt man sich nicht, undt wen Churpfaltz bedinten so bezahlt würden, würden sie mitt der gedult nicht zufrieden sein. Ihr hettet gleich ahn Churpfaltz klagen sollen, wen sein befehl nicht volzogen worden; den sonsten verlaßen sich die dieb auff Ewere gedult. Ich glaube, daß Churpfaltz beßer thäte, nicht wider zu heürahten. Ist es ihm nicht lieber, enckellen vor erben zu haben, die schon kommen sein, alß noch etliche jahren auff kinder zu wartten? Es ist nie ein klück vor einen man über 50, ein jung mensch zu nehmen. Ich habe von deß margraffen dollen serail gehort. Aber da interompirt man mich, muß eine pausse machen.
Donnerstag, den 15 Xbr, umb 3/4 auff 3 nachmittags.
In dießem augenblick komme ich von taffel undt setze mich wieder hirher, umb Ewer schreiben vollendts zu beantwortten. Ich ware heütte morgen geblieben, ah, da kompt man mir sagen, daß meine kutschen kommen sein. Ich muß zur großhertzogin; wen ich wider werde kommen sein, werde ich dießen brieff zu endt bringen, aber nun fahr ich zur großhertzogin.
Donnerstag, umb 5 uhr abendts.
In dießem augenblick komme ich wieder von der großhertzogin undt findte auff meinem schreibtisch Ew[e]r paquet sambt dem calendergen undt zeitungen sambt Ewer schreiben vom 3 Xbr, no 95, [474] dancke sehr vor alles, liebe Louise! Aber ich werde heütte nicht auff dießes letzte andtwortten, sondern [es] vor biß sontag sparen, wo mir gott leben undt gesundtheit verleydt. Komme wieder auff Ewer erstes schreiben. Ich habe schon von dem ridicullen serail gehört, so der margraff von Durlach helt. Wie ich jetzt von unßern Teütschen, es seye fürsten, oder ander herrn, höre, so seindt sie alle so närisch, alß wen sie auß dem dollhauß kämmen; ich schamme mich recht davor. Waß sagen aber die herrn pfarer zu solchen leben? Ihr werdt mir sagen, eben waß die beichtsvatter hir sagen, undt hirin habt Ihr recht. Allein waß man nicht ahnklagt, kan man in der beicht nicht straffen. So lange leichtfertigkeit undt interesse im schwang gehen, werden alle sachen in der weldt überzwerg gehen. Seyder ich meine pausse gemacht, habe ich erfahr[e]n, daß Sandrasqui[12] undt graff Schlieben haben sich in der conspiration gegen meinen sohn [befunden.] Die sach ist mir in allem leydt, aber es verdriest mich recht, daß sich Teütschen in dießer abscheülichen sach gemischt finden; schamme mich recht davor. Adieu, hertzallerliebe Louisse! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt behalte Eüch all mein leben recht lieb.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 15. Dezember 1718 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 3 (1874), S. 469–474
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d03b0976.html
Änderungsstand:
Tintenfass