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Brief vom 21. Dezember 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1080.


[355]
Paris den 21 December 1719 (N. 48).
Hertzallerliebe Louise, ich glaube, ich hab Eüch schon vergangenen sontag bericht, wie daß [ich] selbigen tag Ewer liebes schreiben vom 5 dießes monts zu recht entpfangen; werde, wils gott, heütte drauff andtwortten. Aber weillen Ihr, liebe Louise, nach meiner rechnung dießen brieff just den neüjahrstag entpfangen werdet, so kan ich nicht laßen, nach hochloblichem alten teütschen brauch [Euch], lieb Louise, ein glückseeliges friedt- undt freüdenreiches neües jahr zu wünschen sambt volkomm[en]er gesundtheit undt zufriedenheit, undt [gott] erhalte Eüch noch viel undt lange jahren dabey sambt allem, waß Eüch lieb ist! In dießem wunsch glaube ich, daß ich auch kan begriffen werden. Suma, gott gebe Eüch in dießem undt viellen andern jahren alles, waß Ewer hertz wünscht undt begehrt! Amen. Nun komme ich auff Ewer liebes schreiben. Mich deücht, Ihr bekompt meine schreiben eher, alß ich die Ewerige; den wie ich sehe auß waß Ihr mir da schreibt, daß Ihr daß meinige entpfangen, so ist es nur 10 tag alt worden; daß ich aber von Eüch, liebe Louise, habe, war 12 tag alt, also 2 tag lenger unterwegen geweßen, alß daß meine. Mademoiselle de Valois heüraht ist gewiß; man erwahrt[1] nur die dispense vom papst, weillen sie einander im 4ten gliedt verwandt sein. So baldt dießo dispense gekommen wirdt sein, so soll daß beylager gehalten werden. Gott bewahre unß, daß es möge gebrochen werden! Daß were ein groß unglück vor unß alle. Es ist nicht zu fürchten, daß ich mich über ihren abschidt zu todt grämen werde. Vor jetzt ist es mir hertzlich lieb; waß weitter drauß werden wirdt, [wird] die zeit lehren. Ich glaube aber nicht, daß ich, auff waß mademoiselle de Vallois betriefft, mein leben mich auff viel vergnügen gefast zu machen habe; aber ich werde mich auch nicht viel drumb bekümern. Wir fragen gar wenig nach einander. Aber last unß von waß anderst reden! Dießes bringt mich zu weit in den text. Mademoiselle de Vallois hatt mehr schönheit, alß ahnmuht; sie ist, daß ist gewiß, schöner, alß ihre fraw schwester, die abtißin von Chelle; aber dieße ist [356] unvergleichlich ahngenehmer. Sie hatt ein gar ahngenehmes lachen undt die schönste undt perfectste zähn von der welt (können mitt recht ein tour perlen verglichen werden), schön zahnfleisch, hatt auch einen ahngenehmen [mund], nicht gar zu klein, aber woll formirt, schönne lefftzen. Sie stottert ein wenig, aber es steht ihr nicht übel ahn, den sie macht keine grimassen dabey undt spricht undt lacht gantz naturlich ohne zwang noch affecterie[2]; sie sagt auch, was sie gedenckt. Daß hatt die braut nicht, sagt nie, waß sie gedenckt, sondern allezeit daß contrarie; daß ist mir unleydtlich. Ich muß gestehen, ich wolte, daß sie schon zu Modene were. Der herr von Gemingen hatt recht; verstandt hatt sie, daß ist war. Alle madame d’Orléans kinder haben verstandt, groß undt klein; daß ist gewiß. Die 2 kleine, so vorm jahr die kinderblattern gehabt haben, haben keine eintzige nave oder kinderblattermahl undt sein doch erschrecklich geendert; es seindt ihnnen gantz andere gesichter gekommen. Es ist gar war, daß der comte de Charolois eine printzessin von Modene heürahten wirdt. Wen die gesündiget hette, würde sie eine hartte buße bekomen; ich kenne dießes menschens kopff. Wen sie nicht das unglücklichste mensch von der welt wirdt sein, so bin ich woll betrogen; den alle aparentz ist dazu[3]; sie jammert mich recht. Man setzt in zeyttungen, waß man weiß oder nicht weiß, wen nur daß bladt voll wirdt. Die zeittung vom duc de Chartre ist nicht war. Mademoiselle de Valois solle, wie man sagt, von hir aux Entibes[4] gehen. Wie sie sich mitt ihrem halbbruder, den grand prieur undt general des galleres [verabredet], wirdt [dieser] sie [357] mitt deß königs galleren nach Modene führen. Hirauß secht Ihr woll, liebe Louise, daß dießmahl die gazetten nicht wahr gesagt haben. Ich finde den herrn Benterritter zwar gar unglaublich groß, aber er hatt nichts förchtliches ahn sich. Ich habe ihn vor 20 jahren hir gesehen; da war er 20 jahr alt, aber nur von mittelmäßiger länge, ist seyderdem so gewacksen; daß ist noch ahm meisten zu verwundern. Dießer man hatt verstandt, undt waß mir noch ahn ihm gefelt, ist, daß er gar nicht ostereichisch spricht, sondern recht gutt teütsch. Man kan gar groß sein ohne wie der herr Benterritter. Unß[er] mar[s]chalck von Stein Callenfels war gar ein großer mensch, aber er kam dießem nicht bey. Wir haben hir noch zwey Gemingen, den bruder von dem freüllen, so hoffmeisterin bey den englischen printzessinen geweßen, undt noch ein kleiner bub von 14 oder 15 jahren, so lebhaffter ist, alß all die großen; ist ein artiger bub. Daß ist etwaß recht rares in itzigen zeitten, junge mansleütte zu finden, so zu leben wißen, modest undt woll gezogen sein. 4 tisch in einer cammer, wo man spilt, daß heist hir un apartement[5]. Ich muß Eüch etwaß possirliches von der fürstin von Siegen verzehlen. Sie hatt einen großen brieff ahn die printzes von Wallis geschrieben, in welchem sie sehr bitt, die printzes mögte ihr doch in aller eyll 4 oder 5 taußendt thaller schicken. Daß were ein geringes vor eine so große printzes, wie sie wer[6], undt würde ihr gar woll bekommen; sie solte es Eüch aber nicht zu wißen thun, den Ihr haste[t][7] sie sehr, sie wiße aber nicht, warumb, den sie hette ihr bestes gethan, Ewere freündtschafft zu gewinen, hette aber nie dazu gelangen können. Ich bin gewiß, daß Eüch diß historgen wirdt lachen machen. Daß ist doch falsch ahn dießer fürstin von Siegen, daß sie Eüch complimenten lest machen undt sich doch bey der printzes von Wallis gegen Eüch beklagt. So sachen mag ich nicht leyden. Es ist kein zeichen, daß ihr neüer gallant sie verlaßen, daß sie gelt fordert; den zu frantzösche verliebten gehört viel gelt; umbsonst seindt sie nicht verliebt von damen. Gott verzeye mirs! Ich glaube, ich vergebe dießer fürstin eher alle ihre gallanterey, alß ihr[e] falschheit; die gallanterie geht ihr allein ahn undt andern thuts nichts, aber die falschheit, daß geht alle menschen ahn, die mitt ihr umbgehen. Der Haussen wirdt [358] schon seinen lohn wider finden; den alles übels findt auch seine straff in dießem leben. Churpfaltz verblendung ist zu bejammern, seinem beichtsvatter so blindtlings zu gehorchen. Es wirdt ihm mitt der zeit gereüen, das bin ich woll versichert, aber unßere arme Pfaltzer werden nicht glücklicher bey dießer sach werden, welches mir hertzlich leydt ist. Es ist doch etwaß raisonables, daß man den soltaden dem herrn Spina geschickt, umb ihn vor seine violentz abzustraffen. Weren wir alle rechte Christen, wie wir sein solten, were woll kein zweytracht in den religionen, sondern ein jedes würde die schuldige rechte christliche liebe vor seinem negsten haben, ihn nicht gedencken zu betrüben, sondern alles ahnwenden, ihm ruhe zu schaffen. Hir im landt weiß man nichts von St Crispin meß undt man gibt kein heller davor. Printz Eugene solle gar nicht interessirt sein[8]. Alle nationen kommen her, actionen zu kauffen; es macht mich recht ungedultig. Begreifft Ihr etwaß in dießer sach? Ich kan kein wordt drinen begreiffen, alß wen [es] hebräisch were. Churpfaltz thete beßer, Eüch zu zahlen, waß er Eüch schuldig ist, alß die armen Reformirten, seine eygene unterthanen, so übel zu tractiren. Ich weiß nicht, waß banco-brieff sein; aber waß ich woll weiß, ist, daß ein großer churfürst, den man auff alle seydten mitt taußenden bestilt, keine hundert louisd’or geben will. Dieße post habe ich keine brieff auß Englandt bekommen. Ich glaube, daß la rüe de Quinquempoix[9] so viel leütte nach Paris ziehen wirdt, daß die hungersnoht drüber kommen wirdt; den alles ist nicht allein doppelt, sondern 3fach tewerer, alß alles geweßen. Es geht ein geschrey seyder gestern, alß wen Alberoni in ungnaden bey seinem könig sein, ja gar obligirt, nach Rom zu gehen[10]; ich [359] fürchte aber alß, es seye ein schelmstück darhinder. Waß ich weytter davon erfahren werde, will ich Eüch berichten. Gott erhalt[e] unßern könig undt meinen sohn! Ey, liebe Louisse, woran gedenckt Ihr, daß Ihr mich umb verzeyung bitt, mir zu berichten, waß vorgeht? Es ist ja woll nöhtig, daß man alles weiß, undt daß verheelen kan ich nicht vertragen; ich will lieber alles wißen, solte es auch verdrießlich sein. Hiemit ist Ewer liebes schreiben vollig beantworttet; bleibt mir nichts mehr überig, alß Eüch zu versichern, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 21. Dezember 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 355–359
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1080.html
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