Seitenbanner

Brief vom 19. April 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1220.


[082]
Paris den 19 April 1721 (N. 84).
Hertzallerliebste Louise, dieß ist, gott lob, der letzte bri[e]ff, so ich Eüch, wilß gott, in langer zeit von hir auß schreiben werde; den ich hoff, übermorgen zu St Clou zu sein; mich verlangt darnach, daß mich deücht, ich könte der zeit nicht erwartten, so verlangt mich nach St Clou. Ich bin Paris so müde, alß wen ich es mitt löfflen gefreßen hette, wie die gutte fraw Harling alß pflegt zu sagen; werde hertzlich fro sein, mich in meiner ruhe zu finden. Man hört hir nichts, alß abscheüliche undt widerliche sachen. Ein gar ehrlicher man ist vergangenen mitwog gestorben, er hieß monsieur de Maupertuis, hatte zu deß königs s. zeitten die erst compagnie des mousquetaire[s] commandirt, war mein gutter freündt, ein rechter ehrlicher, frommer man, war woll 90 jahr alt. Es seindt auch 3 damen gestorben, ich habe sie nicht gekandt, werden sehr regrettirt. Eine war ein stiffts-freüllen auß Lotteringen, hieße [083] madame de Monchat[1]; es seindt leütte von guttem hauß, wie man in Franckreich sein kan; die ander ist eine madame Turgo[t], der 3ten nahmen habe ich vergeßen. Eine arme huttmachers-fraw hatt sich gestern auß verzweyfflung die gurgel abgeschnitten, hatt vorher bekendt, daß sie verzweyffelt, weillen ihr beichts-vatter ihr keine absolution hatt geben wollen undt sie versichert, daß sie verdampt were; daß ist eine imprudentz, so straffwürdig were. Es war eine fraw von 27 jahren, hatt sich mitt einem scher-meßer 13 schnit in den halß geben undt der letzte die gurgel abgeschnitten. Der man hatt auch unrecht gehabt, sie mitt den verzweyffelten gedancken allein zu laßen. Daß gibt keine lustige gedancken; dazu bin ich wider ein wenig kranck. Vergangen dinstag war es erschrecklich heiß, wie in den hundtstagen; ich konte nicht dawern, ließ alle fenster auffmachen. Es kam auff einmahl ein so erschrecklicher sturmwindt, welches nicht zu vorsehen war; daß hatt mir wider husten undt schnupen hergeführt. Aber ich befinde mich doch sonsten woll undt, wie schon gesagt, so wirdt mich nichts hindern, nach St Clou zu gehen; den ich bin gewiß, daß ich dort geschwinder geneßen werde, alß hir. Es ist aber auch einmahl zeit, daß ich auff Ewer liebes schreiben komme vom 5 April, no 27, so ich vergangen mitwog entpfangen. Man hatt Eüch vielleicht, wie schon mehrmahl geschehen, auch dießen brieff excammodirt[2] von no 77, aber 2 ist zu grob; aber da ist kein mittel zu. Ich schreibe Eüch nie mitwogen, sondern allezeit donnerstags undt sambstag. Vergangen jahr schriebe ich alß sontags, allein seyder man mir gesagt, daß die post selbigen tag nicht mehr abendts, sondern morgendts früh abgeht, schreibe ich nur sambstags. Aber seydt versichert, daß ich keine eintzige post verfehlt habe! Man hatt wenig sorge vor meine schreiben; den die 2, so die posten regieren, haßen mich wie den teüffel, alß nehmblich der Torcy undt daß kleine preceptergen, der ertzbischoff von Cambray[3]; ich habe sie eben so hertzlich lieb, alß sie mich haben. Ich hoffe, daß, ob Ihr gleich daßelbe wetter zu Franckfort habt, alß wir hir, daß Ihr doch nach der große[n] hitze den tourbillion[4], so mich so übel wider zugericht, nicht werd[e]t gehabt haben; er hatt hir großen schaden im gartten [084] gethan, die grüne blatter undt äste von den bäumen abgeworffen. Daß jetzige wetter ist gar gewiß nicht [gesund], man [hört] überall von sterben undt kranckheitten nun. Seyder vergangenen dinstag ist daß wetter hir so abgekühlet, daß man feüer machen muß, ist jetzt ein recht Aprillen-wetter; wen die son ein wenig gescheindt, regnets hernach. Vissitten seindt woll importun, wen man bey schönnem wetter spatziren fahren will; 4 stundt ist eine zu lange vissitte. Warumb habt Ihr die damen nicht mitt Eüch spatziren geführt? Man kan in einer kutsch so woll sprechen, alß in ein[e]r cammer. Waß fantesie hatt den die gräffin von Solms gehabt, bey dem schönnen frühlings-wetter nicht spatziren zu fahren wollen? Ich habe schon zwey jahr nach einander den general Leutterum hir gesehen. Ich erinere mich nicht, jemandts recommandirt zu haben; den ich gewiß niemandts in der welt kene, [der] … de Freniere heist, aber man hatt mich gebetten, vor einen edelman zu schreiben, den ich nicht [kenne], nur, daß er möge einen freyen zutritt bey Eüch haben, umb kundtschafft zu Franckfort zu machen[5]; daß muß vielleicht dießer sein. Es ist nichts leichters, alß mitt Frantzoßen zu sprechen; den man gibt niemandts keinen tittel hir, alles ist monsieur undt madame undt man fehlt nie, wen man so heist. Dießer mensch ist nie bey hoff geweßen, mag also woll campagnarte maniren[6] ahn sich haben, so den bürgerlichen nicht ungleich sein; ein reicher burger undt ein gentilhomme simple gleichen einander gar sehr hir. Den marquis de Francheville kene ich eben so wenig, alß den andern. Printz Carl von Philipsthal, förchte ich, wirdt seine freüde baldt ins waßer fallen; den es ist nicht möglich, daß es ihm auff die länge hir gefallen kan; ich wolte wetten, daß die reüe baldt folgen wirdt. Aber ich muß nun eine pausse machen; dießen abendt werde ich außschreiben.
Sambstag, den 19 April, umb halb 3 nachmittags.
Mein[e] intention war, alleweill wider zu schreiben, aber da kompt mir eine interuption; ich muß einhalten.
Sambstag umb halb 6 abendts.
Seyder meine letzte pausse habe ich nicht eher, alß nun, wider zum schreiben gelangen [können]. Ich hatte mein[e]r gutten freündin, [085] der marquisen Daluy[7], versprochen, sie noch vor meiner abreiß zu sehen. Wie ich drunten war, hatt man mich wider geholt; den die große printzes de Conti war kommen, umb abschiedt von mir zu nehmen, bey deren [bin] ich eine gutte halbe stundt geblieben; hernach ist unßere hertzogin von Hannover kommen, bey deren bin ich biß jetzt geblieben, da fahrt sie wider weg. Es geht madame la duchesse, wie daß teütsche sprichwordt sagt: Untrew schlegt seinen eygenen herren. Sie hatt ihre kinder alle übel erzogen, meinte, sie gantz dadurch zu gewinnen, undt daß gegenspiel ist geschehen, keines von ihren kindern hatt sie recht lieb. Die westfalingsche mutter hette nicht übel gethan, wen sie ihre dochter ahnstatt gutte wordte, mitt einer gutten maulschelle daß maul gestopft hette; den [wenn] es gleich wahr geweßen, so kam es doch der dochter nicht zu, der mutter so über die naße zu fahren. Die St Sulpice[8] lebt noch, ist aber noch nicht courirt, zwischen leben undt todt. Freyllich meinen die junge bursch, daß neüe impertinentzen zu erdencken, verstandt ist. Aber ich blasmire noch die damen viel mehr, so sich auß desbeauchen in solche gefahr setzen. Wie es deß papst interesse ist, die constitution zu mainteniren, also ist es schwer zu glauben, daß dießer zanck nicht wider ahngehen wirdt. Ich rede vom papst auff Frantzösch-Catholisch undt nicht auff Teütsch-Catholisch; man helt ihn in Franckreich nicht vor infaillible, die gantze Sorbonne hatt sich nicht anderst declarirt, undt wen der papst nicht raisonabel ist, folgt man ihm in Franckreich nicht undt es ist einem jeden frey, hirvon zu reden, wie er will. Wir haben keine inquisition in Franckreich. St pere zu sagen, gilt hir nicht mehr, alß wen man papst sagt, ist nur ein art von reden, man helt ihn nicht vor heylig hir; aber ein großer herr ist er doch. Ein bischoff von Noyon, so ich gekant undt comte et pair war, hieß den papst nicht anderst, alß monsieur de Rome[9], hatt mich offt mitt lachen machen. Ich habe den verstorbenen papst nicht lieb gehabt, aber umb die pure warheit muß ich sagen, daß es ohnmoglich sein kan, daß der papst verliebt von deß pretendenten gemahlin geweßen; den erstlich so war er ein man von 73 jahr[e]n, zum andern so hatte [086] er ein[en] solchen abscheülichen nabel-bruch, daß sein leih gantz offen war, undt hatte eine silberne placke, so seinen gantzen bau[c]h undt eingeweydt auffhalten muste. Daß ist kein standt, umb verliebt zu sein, wie Ihr woll gedencken könt. Daß er sich aber vor dieße printzes interessirt hatt, ist kein wunder; er hatt sie auß der tauff gehoben, ihren heüraht gemacht undt geglaubt, daß, wen der pretendent wider auff seinen thron kommen konte, daß gantz Englandt unter seiner undt der pfaffen gewalt wieder kommen würde; also hatt er ja recht gehabt, sich vor dieße printzes undt ihren herrn zu interessiren. Ein 73jahriger gallant mitt eine silberne placke ist gar eine scandaleusse gallanterie. Kein frantzöscher cardinal kan pretendiren, papst zu werden, er müste den in Ittallien gebohren sein. Die Frantzoßen haben recht, nicht hin zu begehr[e]n; es kost ihnen erschreklich viel undt konnen nichts dab[e]y gewinen, also ist es leicht zu glauben, daß es ihnen von hertzen geht, wen sie sagen, daß sie ungern ins conclave gehen. Alberoni könte er[10] papst werden, alß alle frantzösche cardinals. Man muß gott gewehr[e]n laßen; er weiß schon woll, waß seine vorsehung ist. Man kan nie beßer thun, alß sich in alles seinen h. willen ergeben. Ich hette letztmahl geschwohren, daß ich Eüch ein stück cachou in mein paquet geschickt hette, undt die fraw von Rotzenhaussen, so daß paquet gemacht hatte, sagt auch, es were drin geweßen. Die curieussen, so meine brieffe leßen, müßen es gutt gefunden haben. Da schicke ich wider ein par stücker, wir wollen sehen, ob man sie wider freßen wirdt; ich wolte nicht davor schwehren, den in viellen stücken ist man meisterlich impertinent hir. Ihr werdet sein[11], daß er[12] englische cachou (wo es in Ewern händen kommen kan) gantz waß anderst ist, alß der kleine cacho[u], so wie maußdreck ist. Von dießem kleinen wirdt der große gemacht. Hiemitt werde ich auch enden, muß … In ewiger zeit habe ich nicht so viel interuptionen gehabt, alß heütte dießen abendt; wie die lichter schon ahngezündt wahren, ist der printz undt printzes de Conti kommen mitt ihrem söhngen undt haben mich zu gevatter gebetten mitt dem könig. Morgen werde ich wißen, wen die kin[d]tauff sein wirdt. Gutte [nacht], liebe Louisse! Biß donnerstag werde ich Eüch von St Clou schreiben, nun aber nur sagen, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 19. April 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 82–86
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1220.html
Änderungsstand:
Tintenfass