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Brief vom 19. Oktober 1716

von Gottfried Wilhelm von Leibniz
an Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans


10.


[050]
[Hannover den 19. Oct. 1716.[1]]
Durchleuchtigste Herzogin, gnädigste Frau.
E. Königl. Hoheit gnädigstes schreiben habe in unterthänigkeit erhalten und erkenne für eine große gnade, daß Selbige mit einigen Zeilen von Dero hohen hand das überschickte begleiten wollen. Darauf ich die antwort sowohl als was an Hr. Remond schreibe alhier beyzuschließen ich die in gnaden erlaubte freyheit nehme.
Der Hr. Abt von St. Pierre trägt mir einen gruß auff und Hr. Remond schickt mir einen brief an den Hr. du Bois[2], aber beide kommen zu spät, weil selbiger nach wohlverrichteten Sachen vorlengst abgereiset. Er hat sich alhier so unbekand halten wollen, daß ich mir nicht getrauet, sein incognito zu stöhren und mich anmelden zu laßen. Sonsten ich wohl wünschen mögen, mit einem vortreflichen Man, zu dem des Regenten K. H. ungemeine zuversicht tragen, bekand zu werden. Er hat die Ehre, einen herrlichen grund zu allgemeiner ruhe in Europa gelegt zu haben und komt darinn dem Hr. Abt von St. Pierre noch zuvor, der aber auff seinen grund wird beßer bauen können.
[051] Ich habe aber nicht umbhin gekonnt, diesem unlängst schohn zu erkennen zu geben[3], daß nach seinem Entwurff das Band des Römischen Reichs zertrümmert würde, darinn der Kayser nicht willigen kan noch wird. Er reißet in Italien Florenz, Piemont mit Savoyen, Modena, Genua, Lucca vom Reich ab, die doch durch Lehenspflichten oder sonst auff viele weise damit verbunden, Roms und Kirchenstaats zu geschweigen, davon der Römische Kayser seinen nahmen hat, und darüber ihm wenigstens die Obervoigtey gebühret. In Teutschland ziehet er Hanover zu England, Sachsen zu Pohlen, Brandenburg zu Preußen, Chur Bayern, auch einige andere nach der örther gelegenheit zusammen geschlagene Reichs Chur- und Fürsten macht er zu solchen ständen seiner Europaeischen Vereinigung, als wenn sie mit Kayser und Reich nichts zu thun hätten; Lübeck, Hamburg reißet er auch vom Reich ab und vereinigt sie mit Churland und Danzig, welche beide auch Pohlen nicht wird gänzlich fahren laßen wollen. Ich bitte vor das Römische Reich und rahte ihm als ein patriotischer Teutscher, solches in seiner gegenwärtigen Verfaßung zu laßen als einen großen Europaeischen Leib und Zusammensezung von der art (einigermaßen), wie er sie über ganz Europa haben will. Das Reich mit seiner Verfaßung köndte mit in seine Europaeische Vereinigung treten und von ihr bewähret (auff französisch: garantiret) werden, wie ohnedem schohn beym Westfälischen Frieden und andern geschehen, und erspahret ihm also das Reich ein Drittel wenigstens seiner Mühe, die Europaeischen Potentaten in seine Vereinigung zu bringen.
Der König von Groß Britannien[4] wird vermuhtlich zur Görde jagen, so lange es das Wetter leidet, welches jezo zimlich günstig. Man ist noch nicht ganz ohne hofnung, daß der König in Preußen[5] ihn alda besuchen möchte, weil Görde nur etliche meilen vom Brandenburgischen entfernt; doch scheints, daß einige Leute am Preußischen Hofe seyn, die ihren König nicht alzu sehr zu dergleichen unterredungen anmahnen. Die Königin in Preußen[6] hat auff der rückreise ihre frau Großmutter, die verwittibte Herzogin von Zell gesprochen. [052] Diese Fürstin befindet sich noch wohl vor ihr alter, ist ganz geruhig und befindet wahr, was ich vor vielen jahren mich erkühnet ihr zu sagen, als sie in sorge war, wie es ihr nach des Herzogs, ihres gemahls, tode gehen würde: daß ich nehmlich festiglich glaubte, man werde ihr zu Hanover nicht nur alles Versprochene halten, sondern auch sonst allen guhten willen und freundschafft zeigen.
E. Königl. Hoheit werden von der Prinzeßin von Walles ehe und beßer als von mir erfahren können und erfahren haben, daß sie ihren gemahl wieder bey sich hat und daß beyde Königliche Hoheiten sich sehr bey den leuten beliebt machen, auch etliche Jacobiten, nachdem sie die Ehre gehabt, mit ihnen zu sprechen, bloß dadurch bekehret worden. Des Praetendenten mehrere entfernung wird auch nicht wenig zu beruhigung der gemühter helffen.
Die Kayserin ist nun auch wieder in hofnung, und glaube ich, solches werde nun öffentlich durchs Seßeltragen kund gethan worden seyn.
Vom General Schulenburg habe ich diesen sommer brieffe aus Corfu gehabt und war er sehr beschäfftiget. Nun fängt er an, die früchte seiner arbeit zu genießen. Die Republick Venedig thut ihm gleich und recht und zeigt sich danckbar. Er soll aber gliederschmerzen haben und willens seyn, die Dampfbäder im Neapolitanischen zu gebrauchen; von dannen wird er nach Venedig und dürffte von dannen noch diesen Winter nach Wien gehen.
Ich will hoffen, es werde bald dahin kommen, daß Teutschland, Franckreich und England umb die Wette mit einander arbeiten werden, die Unterthanen glücklich zu machen. Solches muß bey Frankreich E. Königliche Hoheit wegen Dero Herrn Sohns zu sonderbarer Freude gereichen. Gott wolle sie deren bald und lange genießen lassen, und ich verbleibe lebenszeit
E. Königlichen Hoheit
unterthänigster
G. W. v. L.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 19. Oktober 1716 von Gottfried W. v. Leibniz an Elisabeth Charlotte
in: Briefwechsel zwischen Leibniz …, Hrsg. E. Bodemann (1884), S. 50–52
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d11b0010.html
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