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Brief vom 12. Januar 1709

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Amalie Elisabeth zu Pfalz


403.


[070]
Versaille den 12 Januari 1709.
Hertzliebe Amelise, heütte morgen habe ich Ewer schreiben vom 29 Decembris zu recht entpfangen; ist ein par tag alter, alß die vorigen wahren; daß nimbt mich aber kein wunder, den es ist so eine abscheülich raw wetter undt so eine grimige kälte, daß die courier unmöglich renen können. Die leütte sterben hir vor kälte, eine sentinelle erfror gestern undt ein kerl zu pferdt; wen wir drincken wollen, wirdt waßer undt wein zu eyß bey dem fewer. Einen solchen winter, wie dießer ist, habe ich die tag meines lebens nicht erlebt; wens lang wehren solte, glaube ich, daß wir alle erfrieren werden. Ich bitte Eüch, sagt mir doch, ob es zu Heydelberg auch so abscheülich kalt ist, wie hir! Es ist just 8 tag heütte, daß es ahngefangen hatt; gott weiß, wen es enden wirdt. Meinen sohn werde ich nicht lang hir haben, wirdt baldt wider nach Spanien. Es were beßer, zu wünschen, liebe Amelise, daß ein gutter frieden meinen sohn von seiner campagne abhalten möge; aber jedoch, weillen es ja sein muß, daß mein sohn wider zu felt ziehen muß, bin ich Eüch sehr verobligirt, vor ihm so gutte wünsche zu thun, wie auch vor mich in dießem neüen jahr, wünsche Eüch herge[ge]n neben gutter gesundtheit alles, waß Ewer hertz wünschen undt begehren mag. Den frieden wünsche ich woll von grundt meiner seelen, allein ich sehe leyder wenig ahnstalt dazu. Ich[1] könt woll versichert sein, daß ich vor Eüch noch Louise mein tag deß lebens nicht endern werde. Ich fürchte, daß diß rauhe wetter Louisen kein gutt ahn den augen thun wirdt. Ich bin woll Ewerer meinung, lieb Amilise, daß von gottes handt mitt gedult ahnzunehmen, waß unß bößes zukompt; die beste gottesforcht ist aber glauben, undt supertitionen[2] seyndt zu allen zeitten vor schwachheitten undt laster gehalten worden. Madame de Chasteautier spilt die hytte[3] gantz undt gar nicht. Hir aber kan man nicht sagen, [071] daß zu nichts nicht nutzt, bigot zu sein; den es ist die große mode undt wer nicht auff den schlag sein kan, hatt nichts zu hoffen. Die heüchler lacht man nicht auß, sie lachen andere auß, so nicht sein wie sie; den sie haben die macht undt gewalt in den handen, sie dencken: Die gotsforcht ist zu allen dingen nutz undt hatt die verheyßung von dießes undt jennes leben. Aber es ist woll war, das warhaffte Christen so nicht leben, aber daß ist die welt. Meine relation von waß ich alle stunden thue, werdet Ihr oder Louise (den ich [weiß nicht mehr],, welche von beyden ich es geschrieben) schon haben.[4] Mein leben ist schlegt undt gemein, nicht viel bößes, auch nichts absonderliches guts drinen, bin Eüch aber obligirt, liebe Amilise, so gutt opinion von mir zu haben. Sagt man itzunder in Teütsch tavac? Zu meiner [zeit sagte] man tabac. Waß unzucht ahn[geht], so seindt in allen landen die maner auff einen schlag, aber die faulheit undt unhofflichkeit seindt neüe aquisitionen, so sie woll unterlaßen können undt waß beßers davor lehrnen. Ich wolte von hertzen gern lenger schreiben, allein es ist mir ohnmöglich, die finger seindt mir zu star von der kälte, ich kan schir die feder nicht mehr halten, werde also nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch sehr vor die frantzosche vers dancke, welche mich divertirt haben. Seydt versichert, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte!
Ich kan meinen brieff nicht überleßen, muß muß mich wermen gehen.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 12. Januar 1709 von Elisabeth Charlotte an Amalie Elisabeth zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 70–71
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0403.html
Änderungsstand:
Tintenfass