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Brief vom 20. September 1714

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


664.


[449]
Fontainebleau den 20 September 1714.
Hertzallerliebe Louise, ich habe seyder 2 tagen 2 von Ewern lieben schreiben entpfangen, eines vom 4 undt 8 dießes monts, undt gestern hatt man mir daß vom 11 gebracht. Heütte werde ich auff eines andtwortten undt übermorgen, wils gott, auff daß andere. Eines werde ich bloß auff die post thun, daß andere aber ahn monsieur de Miville schicken undt Ihr werdet sehen, welches ahm lengsten unterwegen sein wirdt, undt so baldt Ihr mirs werdet berichtet haben, werde ich selbige weg folgen, so ahm geschwinsten überkompt. In dießem augenblick kompt man mir sagen, daß der duc de Mortemare von Barcelonne ahnkompt undt die zeittung bringt, daß Barcelonne über ist.[1] Sie haben einen sturm von 4 morgendts biß 10 abendt außgestanden; da haben sie erst den weißen fahnen außgestelt, umb zu parlementiren. Es seindt auff beyden seydten viel leütte geblieben, [2] daß jammert mich doch. [450] Den 11 dießes ist der sturm vorgangen.[3] Aber genung hirvon! Ich komme wieder auff Ewer liebes schreiben. Daß freüllen von Rotzenhaussen muß sich nur noch ein wenig gedulten, so wirdt sie ursach haben, von ihrer mutter zufrieden zu sein. Meint Ihr, liebe Louisse, daß ich allezeit in freüden undt divertissementen lebe? Nein, warlich! Ich will Eüch sagen, wie mein leben ist.[4] Umb 9 stehe ich ordinari auff, gehe, wo Ihr woll rahten könt. Hernach bette ich; nachdem ich gebett, leße ich 3 capittel in der bibel, eines vom alten testament, ein psalm undt ein capittel im neüen testament. Hernach kleyde ich mich; bey meinem auffsetzen[5] kommen viel mansleütte von hoff zu mir. Umb 11 gehe ich wider in mein cabinet, leße oder schreibe, wen nicht mehr leütte kommen; kommen mehr leütte, so entretenire ich sie biß umb 12, so gehe ich in die kirch. Wen ich wider komme, so eße ich zu mittag, nehmblich umb 1, bin ordinari 3/4 stundt ahn taffel mitt großer lange[weile]; den ich linde nichts langweilligers, alß allein eßen undt daß leütte umb einen herrumbstehen undt sehen einen ins maul. Ob ich schon 43 jahr hir, kan ich doch daß ellende eßen nicht gewohnen. Nach dem eßen gehe ich in mein cabinet, ruhe ein halb stündtgen auß, hernach leße oder schreibe ich, biß daß man zur taffel geht zum könig; abendts legen die damen ihre vissitten ab. Nachmittags kommen meine damen undt spillen biß umb 9 ein ombre oder berlan[6] gantz nahe bey meiner taffel: dem sehe ich etlich mahl zu. Etlich mahl kompt madame d’Orleans umb 9, auch etlich mahl die duchesse de Bery. Nach 3/4 auff 10 kompt mein sohn, den gehen wir mitt einander zu deß könig nachteßen, stellen uns ahn unßere platz ahn taffel, biß der könig [kompt]; etlich mahl kompt er nicht vor halb 11, da stehen wir oder sitzen, [451] ohne ein wordt zu sagen. Nach dem eßen geht man ins könig cammer, da bleibt man ein vatter-unßers lang stehen, hernach macht der könig ein reverentz undt geht in sein cabinet undt wir folgen ihm, ich aber nur seyder der letzten Dauphine todt; da spricht der könig; umb halb 12 gibt er unß den abschidt undt ein jedes geht in sein cammer, ich gehe nach bett; aber madame la duchesse fengt alßden erst ihr spiel ahn, welches die gantz nacht durch wehrt biß ahm tag. In den zeitten, wo man commedien hatt, gehe ich umb 7 nunder undt nach der commedie zu deß königs nachteßen. Jagt man, stehe ich umb 8 auff, gehe umb 11 gehe ich in kirch, eße umb halb 12, umb 1 geht man auff die jagt. Nach der jagt ziehe ich mich wider ahn, daß werdt ein stündtgen, hernach schreib ich; den alle woch habe ich noch zu schreiben, sontag, dinstag undt freytag ahn mein tochter, montag ahn die königinen von Spanien undt Sicillien, mitwogen ahn die hertzogin von Hannover; ist[7] die fraw von Ratzamshaussen zu Straßburg ist, hatt sie den sambstag. Also segt Ihr woll, daß mein gantzes leben zimblich schlapies ist, wie die Hinderson alß pflegt zu sagen.[8] Aber ob ich mir zwar nicht zu Franckfort würde lange weill laßen, so ist es doch eine unmöglichkeit, daß ich mein leben dort werde hinkommen können. Außer leütte, die ich lieb, frag ich gantz undt gar nicht nach geselschafft. Eüch, liebe Louise, [habe ich zu lieb,] umb daß Ihr mir Ewer leben lange weill machen köntet. Wir werden einander woll nicht wider sehen, alß in jenner welt im thal Josaphat.[9] Waß will man thun? Man muß sich woll in den willen gottes ergeben. Daß hoffleben macht die [menschen] beßer kenen, undt wen man sie recht kent, hatt man mehr abscheüen darvon, alß liebe; den man wirdt aller boßheit undt falschheit undt boßheit gewahr. Daß verlaydt alle lust undt macht die einsambkeit lieben. Hörte ich aber eine frantzösche predig, würde ich sie auß gewohnheit gantz durchauß außschlaffen.[10] Ma tante hatt nie gestehen wollen, daß hertzog Max catholisch ist;[11] drumb habe ich es nicht geglaubt. Englander haben hir gesagt, daß der churprintz ihnen gar nicht gefält undt daß er gantz ridicule seye mitt [452] reden undt thun.[12] Ich wünsche dem neüen könig glück; aber ich kan es nicht glauben, biß ich es höre. Ich wolte gern mehr blaudem; allein es schlegt 9, ich muß noch ein brieff ahn eine dame zu Paris schreiben. Erste post werdet Ihr eine lengere epistel von mir bekommen; dießmahl aber ambrassire ich Eüch nur von hertzen undt versichere Eüch, daß ich Eüch all mein leben von hertzen lieb behalten werde.
P. S.
Ich muß Eüch noch sagen, daß Ihr in keinen sorgen vor Ewere brieffen seydt; ich brene sie alle.[13]
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 20. September 1714 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 449–452
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0664.html
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