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Brief vom 7. Juni 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


710.


[572]
Versaille den 7 Juni 1715.
Hertzallerliebe Louise, vergangenen montag bin ich mitt Ewer liebes schreiben vom 30/19 May erfrewet worden, wolte gleich dinstag drauff antwortten, allein es kammen so viel abgesanten undt envoyes, daß ich ohnmoglich zum schreiben gelangen konte, undt nachmittags hatte ich ahn mein dochter zu schreiben. Es war auch so gar schön wetter. Ich fuhr abendts ein wenig spatziren, muste hernach zu madame d’Orleans, so noch nicht gantz courirt ist, habe also biß auff heütte wartten müßen; den die post geht nur zweymahl die woch, kan also nur dinstag oder freytags schreiben. Mich deücht, unßere brieffe gehen nun all zimblich richtig; aber Ihr habt alle die meinigen noch nicht entpfangen, sonsten würdet Ihr schon die antwort auff Ewere brieffe gesehen haben. Ehe wir von Marly weg sein, habe ich Eüch bericht, liebe Louise, wie mir monsieur Martine zu Paris Ewer paquet sambt daß artige fläschgen von I. L. der printzes von Wallis überlieffert, so ein schwedischer edelman auß Engellandt gebracht hatt.[1] Den ring,[2] so man mir von ma tante, unßerer lieben churfürstin s., schicken wirdt,[3] wirdt mir zwar threnen kosten, werde es aber doch all mein leben bey mir tragen undt in mein testament setzen, daß nach meinem todt es der printzes von Wallis wider geschickt solle werden, damitt es allezeit in händen sein mag, so ma tante geliebet hatt undt geliebt geweßen. Ich bilde mir festiglich ein, daß man Eüch muß böß office bey könig Jörgen geleist haben, daß I. M. Eüch so gar mitt distinction übel tractirt. Mich deücht, Ihr thet woll, ein escl[a]ircissement mitt dießem könig zu haben undt in zu desabussiren, in fall man Eüch böße office geleist hatt; den dießer könig ist berümbt, daß er gar gerecht seye; also muß waß dahinder stecken, den er würde ja nicht ahn Eüch ahnfangen, ungerecht zu werden, [573] undt es ist doch auch nicht ahngenehm, in eines so großen königs ungnade zu sein; deucht mir also, daß es nöhtig ist, ein esclaircissement mitt dem könig zu haben. Ey, liebe Louisse, bey wem soltet Ihr Ewer hertz außschütten können, der mehr part nimbt in waß Eüch betrifft, alß ich, undt wen habt Ihr in der weldt, so Eüch naher ist, alß ich? Es ist gewiß, daß Ewer destin gar nicht glücklich ist; wir seindt alle die glückligsten nicht; ein jedes muß sein verhengnuß erfühlen, man kans nicht entfliehen, noch endern. Ach, liebe Louisse, es ist kein jahr, wo man nicht in sterben kan. Ist I. G. unßer herr vatter leyder nicht in dem jahr gestorben, wo ich nun bin? Bißher befinde ich mich, gott lob, noch gar woll; wie lang es aber noch wehren wirdt, mag gott wißen. Man rufft mich, in die kirch zu gehen; hernach muß ich zwey vissitten thun, zu meine baß, madame la princesse, undt madame d’Orleans. Nach dem eßen hoffe ich dießen brieff außzuschreiben.
Freytag nachmittags umb halb 5 abendts.
Wegen meiner vissitten, da ich Eüch zuvor von gesprochen, habe ich mehr, alß ein virtel-stundt, spätter geßen, alß ordinarie, bin also erst umb halb 2 ahn taffel. Ein virtel auff 3 bin ich von taffel; es ist mir aber gangen met verlöff, wie daß teütsche sprichwort sagt, von den tisch auff den wisch; daß hatt mich noch ein virtel-stundt gar nöhtig auffgehalten, hernach ist mein enkel kommen. Wie der wider weg war, kam eine dame, fordert eine audientz, batt mich, eine sach, so sie vor den cantzeller hatt, zu recommandiren laßen. Nach dem ist mademoiselle de Bouillon zu mir kommen undt noch eine zeit lang geblieben. Vorher ist noch eine andere dame kommen, die hatt mich auffgehalten; ich habe auch pargementer unterzeichnen müßen undt ahn mein secretaire schreiben. Dießes alles macht mich spatt schreiben. Komme nun einmahl wider auff Ewern lieben brieff undt dancke gar sehr, hertzallerliebe Louisse, vor alle wollmeinete wünsche, so Ihr mir thut. Allein, mein gott, in dem alter, wo ich nun bin, zu wünschen, daß ich es viel weitter bringen solle, ist mir nur schmertzen undt ellendt zu wünschen; den nach den 63 jahren findt sich leyder nichts anderst undt unter hundert findt man nicht, so ein gar hohes alter ohne kranckheiten undt unleydtliche schmertzen erreichen, welches mein sach gar nicht ist; ich fürchte große schmertzen mehr, alß [574] sterben. Ich erfreüe Eüch mitt mir,[4] liebe Louisse, das Ihr endtlich zum zweck von Ewerer reiße gelanget seydt undt Ewere elste niepce werdet vor Ewerer abreiße verheüraht sehen; wünsche von hertzen, daß Ihr daßelbige vergnügen noch ahn der jüngsten auch erleben möget, sie nach Ewerm wunsch verheüraht zu sehen. Wen alles mitt der elsten gantz richtig undt außgemacht wirdt sein, so bitte ich Eüch, macht mein compliment undt glückwunschung ahn dem duc de Schonburg undt Ewer niepce! Wir haben wenig neües hir, nur eine gar tragique historie von einem camerdiner von monsieur le duc.[5] Den hatte er auff der post hergeschickt auß Bourgognen, wo er les estats gehalten, umb seinen abschidt zu fordern, daß landt zu quittiren, wo er gouvernator ist. Wie dießer cammerdinner wider mitt dem abschidt zurück ist, haben ihn die mörder ahngegriffen undt sambt seinen postillon ermordt.[6] Er lest eine fraw, so ihn hertzlich lieb hatt undt verzagen will; sie jammert alle menschen, sie [ist] noch dazu schwanger. Es ist gar schön wetter, ich muß ein wenig spatziren fahren. Ewer schreiben ist völlig beantwortet, habe also nichts mehr zu sagen, alß daß ich Eüch all mein leben von hertzen lieb behalten werde.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 7. Juni 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 572–574
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0710.html
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