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Brief vom 23. August 1714

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


660.


[425]
Versaille den 23 Augusti 1714.
Hertzallerliebe Louisse, vergangen sambstag, wie ich wider von Paris kam, wo ich hingangen war, umb 2 vissitten zu thun undt eine zu entpfangen … Die zwey, so ich zu thun hatte, [426] wahren in dem kleinen Carmelitten-closter, wo viel personnen von qualitet sein undt 3 oder 4, so ich gekandt, wie sie noch weltlich wahren. Hernach fuhr ich ins palais royal, wo ich mademoiselle de Valois, mein enckel, [besuchte,] so jetzt nicht mehr auff dem landt, sondern zu Paris in dem closter ist, so die königin mutter gebawet hatt undt worinen ich mich nicht mehr [aufzuhalten] resolviren [kann]; den gegenüber ihrem chor ist eine capelle, worinen Monsieurs, meins elsten sohns, der königin, der Dauphine undt der 3 Dauphins, wie auch deß duc de Bery hertzen sein, in silberne hertzen eingeschloßen, worüber ein schwartzer flohr hengt undt eine crone auff dem flohr. Dieße vission kan ich ohnmöglich außstehen, muste mich kranck weinen, hütte mich also sehr, in dieß closter zu gehen. Mademoiselle de Valois, mein enckel, so schir so groß nun, alß ich, ist bey mir geblieben. Umb 5 aber schickte ich sie wider in ihr closter undt fuhr in daß von Ste Marie zu Challiot,[1] wo sich unßere königin von Engellandt den gantzen sommer auffhelt. Dort erfuhr ich die sicherheit von der königin Anne in Engellandt todt undt wie unßer churfürst von Braunsweig ist gleich etliche stunden hernach proclamirt worden alß könig von den 3 königreichen Englandt, Schottlandt undt Ihrlandt.[2] Waß weytter auß dießem allem wehren wirdt, sol den teit lehren, wie unßere liebe churfürstin alß pflegt zu sagen. Wie ich hir ahnkame, welches umb 8ten war, bracht man mir Ewer liebes schreiben, liebe Louisse, vom 11 dießes monts, welches ich aber nicht eher, alß heütte, habe beantwortten können; den sontag ist mein postag nach Lotheringen, undt wie ich leyder nicht mehr ahn ma tante, die liebe churfürstin s., zu schreiben habe, so gehe ich nachmittags in die kirch, also konte ich den tag nicht schreiben. Montag ist der postag von Sicillien undt Bajonne, muß alle montag ahn die zwey königinen schreiben; dinstag ist der tag von audientzen, wo alle envoyes undt ambassadeur kommen, undt muß auch abendts wider ahn mein dochter schreiben. Gestern hatte ich morgendts eine harangue des desputtes de [Languedoc],[3] welches eben zugehet, [427] wie die von envoyes, außer daß man dieße desputtes stehendt entpfangt, die envoyes sitzendt. Hernach ging ich in kirch, nach der kirch zur großen printzes de Conti, so ader gelaßen hatte, ich aß also gar spät. Hernach geschahe mir etwaß gar verdrißliches, eine von meinen schönnen hundinen starb plötzlich. Ich habe sie öffenen laßen, umb zu sehen, ob sie nicht etwan vergifft were, oder ahn der bößen kranckheit gestorben, wo alle thier jetzt in gantz Franckreich undt Bourgognen ahn sterben, welches wie ein art von pest ist, aber sie hatt nur ein misserere[4] gehabt, so sie so plötzlich hatt sterben [machen]. Ihre arme darmger[5] waren gegnüpfft wie ein patter noster, ein knopff ahm andern undt hardt wie stein. Nach dießem habe ich den gantzen abendt ahngewendt, ahn unßere hertzogin von Hannover zu schreiben; also haben ich dieße andtwordt auff heütte verschieben müßen, da ich pretendire, gar exact zu andtwortten. Es ist mir recht lieb, zu vernehmen, daß meine brieff nun richtig gehen, werde gewiß fleißig schreiben, sowoll von Fontainebleau, alß hir, wo es anderst möglich ist. Es war leicht zu glauben, liebe Louisse, daß Eüch daß hauß zu Franckfort drauerige erinerungen geben würde; ich habe woll schon dran gedacht, aber ich habe es Eüch nicht sagen [wollen], umb Eüch nicht desto eher dran zu erinern. Wolte gott, liebe Louise, mein brieff hette Euch einigen trost geben können! Aber daß darff ich woll nicht hoffen, den solche wunden seindt gar zu schwer zu heyllen; doch bin ich froh, daß meine zwey schreiben Eüch einige distraction in Ewere trawerige gedancken undt erinerungen geben haben. Ihr habt auch verlust über verlust gethan, aber hirvon will ich nicht reden. So lang wir in dießem leben sein, liebe Louisse, müßen wir lust undt unlust von menschen haben, daß hatt gott so in der weldt geordtnet. Es were eine gar zu große vanitet, wen man meinen solte, der gantzen weldt zu entbehren können. Ich gestehe, ich habe selber bißher gemeint, daß ich mein leben nicht mehr [428] würde lachen können; so hatt mich doch gestern undt vorgestern die fraw von Rotzenhaussen vorgestern zum 1 mahl wider lachen machen, also soll man woll vor nichts schwehren. Wolte gott, ich könte glauben, daß man sich in jener weldt sehen wirdt undt kenen könte! so würde mir der todt leichter ahnkommen. Allein weillen in jener welt sein wirdt, waß kein aug gesehen, kein ohr gehört undt nie in keines menschen hertz kommen ist,[6] also ist nicht zu glauben, daß etwaß dort wie hir wirdt sein.[7] Zu dem so glaube ich, daß, wen man sich in jener weldt dießer erinern können würde, man nicht durchauß glücklich in der seeligkeit, noch durchauß unglücklich in der verdamnuß sein können; den man würde sich doch immer vor die interissern[8], so man lieb hatt, undt part nehmen, wens ihnen woll oder übel gehen würde. Also schließe ich, daß jene weldt gantz waß anderst sein müße undt daß man ahn nichts mehr gedencken wirdt, alß ahn unßern herrgott undt den zu loben. Daß ist meine meinung, liebe Louisse! Also kan mich mein eygener todt nicht trösten über die, so ich verlohren habe; es kan mich nur trösten, alles, waß hir böß undt verdrießlich ist, zu verlaßen undt eine ewige ruhe zu genießen. Seyder man mir zur ader gelaßen undt die zwey tag mitt dem englischen saltz von Ipson[9] purgirt, geschwellen meine füß undt schenckel nicht mehr; also müßen mir ja die remedien, so man mir gebraucht, woll bekommen sein. Ich bin fro, daß Euer ohr wider courirt ist. Gar offt seindt die geringsten mittel die besten. Aber warumb wolt Ihr glauben, liebe Louise, daß Eüer ohrwehe wider kommen wirdt? Außer unßere liebe churfürstin undt Carlutz, ja schir alle Ewere brüder, habt Ihr, habt Ihr ja zu Heydelberg verlohren alles, waß Eüch lieb war, also leicht zu glauben, daß Ihr nicht gern mehr dort seydt. Weder bekandt, noch unbekandt werde ich woll mein leben Teütschlandt nicht mehr sehen. Heydelberg wünsch ich glück, seegen undt alles guts; ich müste aber sterben, wens[10] ichs nun wider sehen solte; ich werde es doch, wie auch alle gutte, [429] ehrliche Pfaltzer, all mein leben lieb behalten. Ich weiß nur ein gelegenheit, da wir einander einmahl wider sehen konten, nehmblich wen ich einsmahl urlaub erlangen konte, meine dochter zu besuchen, wen sie wider zu Nancie sein wirdt, alßden könten wir einander rendevous dort geben; solte woll recht fro sein, wen ich Eüch, liebe Louisse, noch einmahl vor meinem endt ambrassiren könte. Ich weiß nicht, ob es war ist, aber man sagt hir, daß die Engländer den churfürsten zu Braunsweig woll zu ihrem könig haben wollen, aber daß sie außdingen werden, daß der churprintz ihr könig nie solle werden. Hertzog Max kene ich nicht, aber hertzog Ernst August mogte ichs, unter unß gerett, lieber gönnen, alß dem churprintz; den mein vetter, hertzog Ernst August, der von allen seytten gutte [ahnen hat] undt von gantzer teütschen raçen ist, alß den churprintzen, der so gar schlime angen[11] hatt undt den man mir so doll beschrieben, daß ich seine gemahlin woll von hertzen offt beklagt; den von I. L. habe ich allezeit alles guts gehört undt großes lob, estimire I. L. also von hertzen. Ich wüste woll, daß ein letzter wille war auffgesetzt worden; den unßere liebe churfürstin hatte es mir geschrieben undt dabey gesetzt, daß sie mir einen rohten demant vermachen wolle, so sie von ihrem herrn s. bekommen hette.[12] Schickt man mirs, werde ich es mitt danck ahnnehmen, schickt man mirs nicht, werde ich kein wordt davon sagen; den bettlen kan ich nicht undt habe den ring auch nicht von nohten, umb ahn mein hertzallerlibe tante s. zu gedencken. Hir sagt man, der patter, der Jessuwit, der bey hertzog Max zu Wien ist,[13] hette I. L. catholisch gemacht. Wen daß ist, hatt er [430] nichts mehr ahn die cron Engellandt zu pretendiren. Ich bilde mir ein, daß der könig in Preüssen den churfürsten persuadirt hatt, die cron Engellandt ahnzunehmen. Mitt dem herschreiben ist keinen Frantzoßen in der welt zu trawen. Glaubt mir daß kecklich! ich weiß woll, waß ich sage. Ich dancke Eüch sehr vor die gedruckt zeitung, kan sie gar woll leßen, der druck ist mir nicht zu rein; werdt mir einen gefallen thun, zu continuiren. Es ist war, daß unßer könig in Spanien die printzes von Parme bekompt;[14] aber glaubt mir! es ist gar nicht wahr, daß er dießen heüraht unbewust der printzes des Ursin[15] gemacht hatt. Aber ich glaube, sie [431] spargirt dieße zeittung auß, weillen sie hir leütten versprochen gehabt, [432] daß es eine von ihren dochtern gelten solte; so muß sie ja, nun es nicht geschicht, zur außrett nehmen, daß sie es nicht gewust hatt. Hiemitt, liebe Louisse, ist Ewer liebes schreiben vollig beantwortet, bleibt mir nichts mehr überig, alß zu sagen, daß ich Eüch noch einmahl schreiben werde, ehe ich hir weg nach Fontainebleau werde, undt versichern, daß, in welchem ort ich auch sein mag, das ich Eüch doch biß ahn mein endt von hertzen lieb behalten werde.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 23. August 1714 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 425–432
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0660.html
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