Seitenbanner

Brief vom 23. April 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


700.


[544]
Versaill[es] den 23 April 1715.
Hertzallerliebe Louise, es seindt mir so viel verhindernüße zugestoßen, daß ich 3 von Eweren lieben schreiben entpfangen habe, ohne drauff zu antwortten, werde auch nicht [versprechen,] es heütte zu thun, den daß bringt mir unglück; so offt ich es versprochen, ist mir alß waß dazwischen kommen, so mich ahn schreiben verhindert hatt; [will] nur [sagen,] daß ich mein bests thun werde, heütte einen langen brieff zu schreiben. Es geht Eüch, wie ich sehe, wie [mir,] den in Ewerem letzten habt Ihr, liebe Louisse, daß chiffer vergeßen,[1] den Ewer liebes schreiben vom 1 April / 21 Mertz ist no 1 chiffrirt, daß vom 8 April / 28 Mertz ist no 2, aber daß vom 15 / 4 April hatt kein chiffer. Weillen es daß frischte ist, will ich bey dießem [anfangen]. Ob mein schiffer recht ist, weiß ich nicht, den meine leütte haben mir mein zette[l]gen verlegt oder gar verlohren; den ich habe es nicht gefunden. Wen Ihr mir werdt bericht haben, liebe Louise, woran ich eygendtlich bin, werde ich es in einem schreibcallender aufzeichnen undt also nicht mehr verfehlen. Ewer schreiben vom sambstag mitt agsteinen fläschgen habe ich noch nicht entpfangen; ich weiß nicht, wems der herr Botmer [545] wirdt geben haben. Ich bin der princes doch sehr verobligirt, mir allezeit dero ahndencken zu erweißen. Agstein, so man hir ambre jeaune heist, ist nicht gar rahr hir. Aber raht mir doch! waß kont ich der printzes wider schicken, so I. L. ahngenehm sein könte? Den waß man vor bagatellen hir hatt, alß schachteln, uhren undt dergleichen, hatt man schöner undt artiger in Engellandt, alß hir. Moden kan ich auch nicht mehr [schicken], weillen sie in Engellandt ihre besondere haben, so man nun in Franckreich folgt; bin also sehr ambarassirt, waß ich Eüch vor die liebe printzes schicken könte. Ich bitt Eüch nochmahlen, liebe Louisse, daß mir zu berichten, waß Ihr meint, daß ich schicken konte, so ahngenehm were. Undt wen Ihr nach hoff geht, bitte ich, doch allezeit etwaß schönnes vor[2] [mir] ahn die printzes von Wallis zu sagen. Ihr kont I. L. nicht genung versichern, wie große veneration ich vor sie habe. Es wirdt mir eine rechte freüde sein, I. L. contrefait sambt dero artigen princessinen in mignatur zu haben; in öhl undt in groß habe ich I. L. contrefait schon, wie auch eines von der itzigen königin in Preüssen. Ich zweyffle nicht, daß dieße printzes sich nicht bey jederman beliebt machen [werde]. Ich forcht, daß der printzes Carolline sie[3] see nicht woll zuschlagen wirdt. Ich gestehe, daß deß printzen von Sicillien[4] todt mir recht zu hertzen gangen wegen der königin, seiner fraw mutter, so eine rechte tugendtsame fürstin ist, die viel meritten hatt. Vorgestern habe ich noch einen brieff von I. M. bekommen, so einen stein erbarmen mögte. Sie nimbt ihr unglück recht christlich, sagt, sie fürcht sich sehr, gesündigt zu haben, sich nicht gleich in gottes willen ergeben zu haben, allein daß ein trew mütterliches hertz nicht unendtpfindtlich sein könne, daß sie doch wünscht undt hofft, sich mitt der zeit beßer in gottes willen zu ergeben können. Dieße königin war noch nicht gar zwey jahr alt, wie ich in Franckreich kam; sie hatt nie keine andere mutter, alß mich, gesehen, helt mich also vor ihre rechte mutter. Ich liebe sie auch, alß wen sie mein kint were, undt die königin in Spanien s., ihre fraw schwester, habe ich auch hertzlich geliebt, aber wie eine schwester; den ich war nur 10 jahr älter. Ich glaube, daß Ihr [546] undt ich auch so sein; den wo mir recht ist, so seydt Ihr zwey jahr jünger, alß Caroline s., undt Caroline war 8 jahr jünger, alß ich, undt Carllutz war 6 jahr jünger, alß ich. Vor Ewere gutte wünsche dancke ich Eüch sehr, liebe Louisse! Daß der churprintz von Saxsen baldt weg wirdt, weiß ich woll. Er soll einen großen tour thun, gantz Franckreich zu sehen; wo I. L. aber hernach hin werden, weiß ich nicht. Ich sehe I. L. gar selten, seyder Fontainebleau habe ich ihn nicht 6 mahl gesehen. Er ist immer zu Paris undt ich hir, auch seindt seine vissitten …, insonderheit seyder ich abgeschlagen, den apostel bey ihm zu agiren undt die religion zu predigen, welches meine sache gar nicht ist.[5] Ich laß ein jedes glauben, wie es will, undt glaube, wie ich kan undt begreiffe, daß es zu meiner seeligkeit nützlich ist. Ich zweyffle, daß man wegen der religion dem churprintzen von Saxsen erlaubt, nach Engellandt zu gehen. Es hatt 12 geschlagen, ich muß in kirch, bin heütte abermahl abscheülich interompirt worden, habe mylord Stairs, den abgesanten, undt den envoyes von Sicillien, den von Parme, den von Lotteringen, den von Chur-Coln undt etliche leütte von hoff [gehabt]. Nun aber muß ich eine pausse [machen], will noch zu meines sohns gemahlin, so kranck. Mir gefelt ihr kranckheit gar nicht, hatt ein innerlich fieber, so ich vor gar gefährlich halte.
Osterdinstag umb 4 nachmittags.
Seyder 3 viertel auff 2 bin ich von taffel in hoffnung, zu schreiben können; allein ich bin noch bißher immer verhindert worden. Gott gebe, daß ich nun ein wenig ruhe mag haben! Wir wahren ahm churprintzen von Saxsen geblieben. Unter allen seinen catholischen leütten ist er noch gutt lutherisch; ob er es bleiben wirdt, oder nicht, wirdt die zeit lehren. Man hatt mir heütte eine dolle historie auß Engellandt verzehlt, mögte wißen, ob es war ist. Man sagt, der printz von Wallis were in einer commedie geweßen, da hette man die letztverstorbene königin Anne gespilt, die hette sich auff dem theatre so voll gesoffen undt were in einen seßel gefallen. Da were ein mylord auff dem theatre gestiegen undt hette den comedianten mitt dem bloßen degen balaffrirt, so hette der printz geruffen ahn seinen capitaine des gardes, er solle den mylord [547] niederschießen, so hette der gantz parterre überlaudt geruffen: Thut man einen schuß, so wirdt es ein signal sein, alles niederzumachen, waß ins königs parthey ist, undt der captein des guarde hette zum printzen gesagt: Schießen were gutt zu Hannover, aber hir thut es sich gar nicht gutt. Man sagt auch hir, daß der printz von Wallis gantz mitt seinem herrn vatter brouillirt were undt daß sie nicht mitt einander sprechen, daß man der printzes von Wallis ein art von suplication geben hette, worinen stunde, daß sie, die from undt gerecht were, solte doch betrachten, daß daß königreich niemandts mitt recht gehöre, alß dem, so man den pretendenten hieße, weillen er Jacobus deß zweytten sohn so gewiß were, alß ihr herr deß graff Königsmarcks sohn seye.[6] Daß were doch abscheülich insolent, wen es war were, daß man der gutten printzessin daß gesagt hette. Engellandt ist ein doll landt. Man verzehlt auch gar viel von millord Boullinbrock,[7] welches zu lang zu verzehlen were. Solche leütte, wie die Englander seindt, kan man in der welt nicht mehr finden, insonderheit wen war ist, waß ich Eüch alleweill geschrieben; ich habe es mühe zu glauben. Ich habe allezeit gehört, daß Kinsinton[8] ein schönner ort ist. Man hatt die außsichten davon in kupffer gestochen; wir haben sie hir. Mich deücht, es ist recht naturlich, sein vatterlandt alß allen andern ländern vorzuziehen; aber unßer vatterlandt ist doch in der that gar schön undt wirdt von jederman, die es sehen, admirirt. Es ist hir ein ressident von Genua, der hatt einen solchen widerwillen gegen Engellandt gefast, daß er sagt, daß er nicht allein sein leben nicht wider nein wolle, sondern er wolte nicht einmahl, daß sein contr[e]fait dort sein solte, undt dem muß man auch kein gelt geben haben. Mich wundert, daß, weillen baron Görtz Eüch gesagt, daß ma tante s. testament solle gehalten werden, daß man Eüch doch nicht gibt, waß Eüch von rechtswegen zukompt. Man kan auch hirauff sagen, wie unßere jungfer Colbin alß pflegt zu sagen: Es [548] geht nirgendts wunderlicher her, alß in der welt[9] Hiemitt ist Ewer letztes schreiben vollig beantwortet. Ich komme auff daß vom 8 April / 18 Mertz. Ich glaube, wir werden dießen frühling noch ein eintzig mahl jagen; hernach wirdt man woll mehr, alß 6 wochen, ohne jagen sein, weillen die hirschkühe, so trägtig sein, ihre kindtbett halten müßen; zudem so wirdt der oberjager ins badt reißen. Viel leütte werden diß jahr vom hoff hin, dießer comte de Thoullousse[10], seine fraw schwester, madame la duchesse, ihres sohns gemahlin undt die großhertzogin, so ich erst hette nenen sollen; den alß petitte fille de France geht sie den printzen du sang weitt vor; sie hatt denselben rang, wie meine kinder, aber meine enckellen seindt nur prince undt princesse du sang.[11] Ich bin noch nicht in volligen kräfften seyder meiner aderlaß undt medecinen, ob es zwar heütte schon 14 tag ist, daß man mir zur ader gelaßen hatt; aber ordinari wehrt die schwachheit 3 wochen. Wie unße[re] Teütschen noch hir wahren, befandt ich mich recht woll; aber woll gehen kan ich leyder nicht wegen der schwachheit, so ich in den knien habe. Ich zwinge mich, wen ich gehe, nicht zu hincken; allein aber ohne schmertzen kan ich leyder nicht lang geht[12]. Wen ich waß habe, so mich quelt, berühme ichs mich nicht; aber hir … nichts solches her, daß man nicht waß findt, so einem rechtmäßiger weiß betrüben undt verdrißen kan. Aber genung hirvon! Ich bin fro, daß unßere ehrliche Teütschen woll mitt mir zufrieden sein; aber ich habe leyder nichts vor ihnen thun konnen. Mitt sie zu reden, ist kein lobens werdt; wen ich es nicht gethan hette, müste ich närisch, oder auffs wenigst capricieux sein. Es war vielleicht gar warm bey der printzes, daß macht übel werden. Ewere niepcen [dauern] mich recht, ihre gantze jugendt bey einem so wunderlichen vatter zuzubringen. Dieße englische reiße, deücht mir, hettet Ihr Eüch woll ersparen können; aber alles ist verhengnuß in dießer welt. Wie ich nie gedacht, daß man mir den ring schicken solte, so ma tante s. mir vermacht hatt,[13] also kan ichs gedultig erwartten. Weitter will ich hir nichts von sagen, es [macht] mir daß hertz zu schwer, kan nicht ohne schmertzen ahn ma tante [549] gedencken. Sobaldt ich den churprintzen von Saxsen sehen werde, werde ich ihn verzehlen. Es ist woll artlich, daß diß kindt von 5 jahren schon die geographie weiß; doch monsieur le Dauphin, so von selbigen alter ist, weiß es auch auff ein endt, daß zu verwundern ist.[14] Ich dencke, wie Ihr, daß es gefährlich ist; wen die kinder so geschwindt reiff werden, leben sie nicht lang.[15] Es were woll schadt vor dieße artig princes undt were mir woll leydt, wen ihre fraw mutter diß hertzenleydt belegenen solte. Hiemitt ist dieß 2te schreiben auch beantwortet. Ich komme auff daß erst vom 1 April / 21 Mertz. Es ist doch gutt, daß unßere brieffe richtig gehen; aber bringt Eüch doch einmahl vor allem auß dem kopff, daß Ihr mir zu offt schreibt! Die post geht ja nur zwey mahl die [woch]; wie kontet Ihr mir den zu viel schreiben? Baron Görtz findt meinen gruß; sein sohn hatt mir woll gefahlen, scheindt ein gar feiner undt raisonabler cavalier zu sein.[16] Wer ich, wie könig Jorgen, wolte ich warlich lieber Teütsch, alß Englisch, hören undt ein absoluter churfürst sein, alß konig in Engellandt. Ich trawe den teüffelsleütten kein haar. Ich glaube, daß, wen man daß parlement einmahl gesehen, ist es genung; den es woll allezeit daßselbige ist undt man evitirt eine große hitz undt pres. Ich bilde mir ein, daß der duc de Schömburg nur einen alten gritlichen man vorschlegt, damitt seine dochter sich widersetzen möge undt er hernach sagen mag: Weillen mein dochter den nicht will, so ich vorschlage, so will ich auch den nicht, den sie mir vorschlegt. Ihr secht nun woll, daß ich kein unrecht gehabt habe, wie ich Eüch die englische reiß widerrahten habe; den es ist Eüch eben gangen, wie ich es prophezeyet hatte. Wen Ihr nur gesundt wider nach hauß kompt, wirdt alles gutt sein. Man sagt im sprichwordt: Le diable n’est pas tousjours a la porte d’un peauvre homme; also zu hoffen, daß daß glück sich auch einmahl zu Eüch wenden wirdt undt Eüch ein wenig vergnügen verleyen. Allezeit in Engellandt zu bleiben, wolte ich Eüch warlich gar nicht rahten, liebe Louise! Aber es hatt schon lengst 8 geschlagen, ich muß noch vor dem nachteßen ahn mein tochter undt zwey andere brieff schreiben, kan also dießen letzten noch nicht gantz beantwortten, werde die zwey [550] letzte bogen vor eine andere post sparen, nun aber nur sagen, daß ich doch mein wordt gehalten; den diß ist doch kein kleiner brieff. So lang ich lebe, werde ich Eüch von hertz[en] lieb behalten.
P. S.
Ich kan ohnmoglich dießen brieff überleßen, noch corigiren;[17] bitte, die fehler zu entschuldigen.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 23. April 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 544–550
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0700.html
Änderungsstand:
Tintenfass