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Fontainebleau den 20 October 1714.
Hertzallerliebe Louise, dießes ist leyder der letzte brieff, so
ich Eüch von dem lieben Fontainebleau schreiben werde; den biß
mitwog werden wir weg undt montag wirdt die letzte jagt in dießem
schönnen waldt
[1] sein. Bey Marly undt Versaillen ist nichts, so
dabey kommen kan. Waß mir noch ahn dießem ort hir gefelt, ist,
daß alle sähl undt gallerien gantz [deutsch] außsehen; wen man in
den Schweytzersahl geht, sicht es recht auß wie ein alter teütscher
sahl mitt ercker undt getaffelts undt bäncken.
[2] Ich fühle
augenscheinlich, daß die lufft hir, wie auch daß jagen, mir woll bekompt
undt mir eine gutte gesundtheit gibt; es vertreibt undt dissipirt
die trawerige gedancken undt nichts ist mir ungesunder, alß
trawerig sein. Bißher seindt, gott lob, alle unßere jagten gar woll
abgeloffen. Vergangen donnerstag fung man einen hirsch, der ein
wenig böß war. Ein edelman stig auff den felßen hinter dem hirsch
undt gab ihm einen hieb in den schenckel; da könte er den kopff
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nicht mehr bücken, war also ohne gefahr. Hinter meiner calesch
war eine calesch mitt 3 geistliche, der ertzbischoff von Lion undt
2 abte, welche daß jagen nicht gewont sein; die, wie der hirsch
sich ihnen nur wieß, sprangen 2 auß der calesch undt versteckten
sich hinter der calesch plat auff dem boden. Es ist mir leydt, daß
ich dieße scene nicht gesehen habe, hette mich braff lachen machen;
den wir andere alte jäger scheüen die hirsche nicht so sehr.
[3] Ich
habe auff der jagt Ewer compliment ahm churprintzen
[4] gemacht
undt I. L. gesagt, wie Ihr ihn, liebe Louisse, Ewers respect
versichert. Er hatt mir nur eine große reverentz gemacht, aber nichts
geantwort. Ich bin gar nicht in seinen gnaden. Ich glaube, daß
er meint, ich würde von religion reden undt ihn persuadiren wollen,
zu endern, den es ist noch gar nicht geschehen. Aber der gutte
herr betrigt sich sehr; ich bin gar kein apostel
[5] undt finde gar
gutt, daß ein jeder nach seinem gewißen glaubt; undt solte man
meine raht folgen, würde nie kein zanck über die religion werden
undt man würde die laster undt nicht die glauben verfolgen undt
suchen zu verbeßern undt corigiren.
[6] Aber der gutte churprintz
ist so verscheücht, daß, ohne zu examiniren, alles bang macht.
Hagen hatt mich wenig zusprechen laßen, seinem printzen
zuzusprechen; allein ich habe geantwort, daß ich die contreversen gar nicht
verstehe undt mich nur umb meinen eygenen glauben bekümern
könne. Also thut mir der churprintz groß unrecht, mich zu sehr
zu schewen. Ich mag ihn auch woll übel gefallen, weillen ich ein
alt weib bin; aber daß stehet nicht zu endern undt wirdt alle tag
ärger werden. Weillen dießer herr noch bißher fest auff seine
religion gehalten hatt, kan ich nicht glauben, daß er jemahls endern
wirdt. Keine bibel hatt der printz, noch gesangbuch; allein er hatt
ein buch mitt eygener handt geschrieben, worinen er bett, wie seine
leütte sagen. Ich glaube nicht, daß ihm hir etwaß gefelt außer
die jagt. Er ist choquirt, daß sich die weiber hir so sehr schmincken.
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Ich kene ma tante s. woll ahn waß sie possirliches durch Eüch
ahn den churprintzen hatt sagen laßen. Es ist woll recht poßirlich,
wen ein Türk sich zu der christlichen religion begeben thäte undt
doch im hertzen ein Turq oder heydt bliebe. Daß were heüchelley,
liebe Louisse! Aber in den christlichen religionen nur die bibel
außzulegen undt zu glauben, wie man kan undt in seinem hertzen
begreifft, daß kan nie geheüchelt heißen. Christen sollen alle
bruder sein, undt es ist nur der pfaffen schuldt, die durch ihren
ehrgeitz die christliche religion gegen einander hetzen undt den
zwitracht machen, umb daß ein jedes in seiner religion regiren möge
undt den meister spillen. Den churprintzen sehe ich selten, den
ich habe nachmittags weder musiq, noch spiel undt geselschafft, leb
vor mir weg undt handthire wenig leütte. Die ich sehe, tractire
ich so hofflich, alß mir immer möglich ist; aber weder große
gemeinschafft, noch vertraulichkeit habe ich mitt niemandts. Ich glaube
nicht, daß der churprintz nie bekandt mitt mir wirdt; ich sehe
woll, daß er mich scheütt. Hir spricht er gar wenig, man muß ihm
die worter außpreßen. Er ist schön von gesicht, hatt gutte maniren
undt minen; daß wenige, so er spricht, ist woll gesagt; man sicht
woll, daß er verstandt hatt undt ahngenehm ist, wens ihm beliebt.
Er gefelt hir ahn jederman. Daß ist, waß ich Eüch vom
churprintzen von Saxsen sagen kan. Waß Chur-Bayern ahnbelangt, so
kompt er gar nicht fleißig zu mir. In 5 jahren habe ich I. L.
nur zweymahl in meiner cammer gesehen;
[7] daß ist ja nicht zu
viel undt mitt mir hatt er gar keine freündtschafft, nur mitt
madame la duchesse undt ihren döchtern. Waß mich glauben macht,
daß die printzes von Wallis nichts anderst pretendiren kan, alß
waß die hertzogin von Jorck gehabt hatt, ist, daß der hertzog von
Jorck ja heritier pressomtif war, weillen könig Carl keine andern
erben hatte; auch ist ja der duc de Jorck könig in Englandt
gecrönet worden undt konig gelebt undt gestorben. Es ist eine
albere sach mitt den ceremonien, ich liebe sie gar nicht.
[8]
Seigneur Ortence
[9] bin ich recht verobligirt, so fleißig ahn mich
zu gedencken. Der gutte man muß doch nun alt sein; den er war
doch ein gestan[den]er man, wie ich noch ein kindt war, undt ich
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bin doch nun schon über 62 jahr alt. Wen Ihr ihm schreibt, so
grüst ihn doch von meinetwegen! Ich wuste nicht, daß die printzes
von Wallis 3 printzessinen hatt; ich meinte, sie hette nur einen
printzen undt 2 princessinen. Wen hatt sie den die tritte
bekommen? Nun soll es I. L. nicht leydt sein, viel princessinen zu
haben, den die seindt in Engellandt eben so gutt, alß printzen. Sie
reißen nicht junger, alß ich; den ich war nur 4 jahr, wie ich nach
Neüstatt reiste, undt nur 7 jahr alt, wie man mich nach Hanover
schickte, undt nur 8 jahr alt, wie ich mitt ma tante nach dem
Haag reiste; habe mich mein leben nicht beßer befunden, alß wen
ich gereist habe. Wir haben etliche tage kalt hir gehabt, allein
daß warme wetter hatt wider drauff erfolgt. Wir haben bey 6
oder 7 tagen so warm gehabt, daß wir geschwitzt haben; dießen
abendt aber fengt es ein wenig ahn kalt zu werden, undt der
nordwindt lest sich starck fühlen. Printz Friderich
[10] jammert mich,
so ohne eltern allein zu bleiben; jedoch unter unß gerett, so halte
ich ihn vor glücklicher, zu Hannover zu bleiben, alß [bei] seinen
groß herr vatter in Engellandt zu sein. Ich habe dießes printzen
contrefait, finde, daß er sehr ahn seinen uhralt herr vatter, hertzog
Jorg Wilhelm s., gleicht. Ich dancke Eüch, liebe Louisse, mir die
gazetten [zu schicken]; ich leße sie fleißig auff der jagt selber undt
divertiren mich recht, undt wen ich sie geleßen, gebe ich sie ahn
Lenor. Ihre dochter, die freüllen Wilhelme, nimbt eine gutte
parthie; sie wirdt sich woll dabey befinden undt beßere ruhe in dießer
gelaßenheit, mehr ruhe haben undt finden. In dießer welt hatt ja
niemandts freyheit. Mich deücht, ein gutter heüraht were reputirlicher;
den von stifftsfreüllen habe ich allezeit übel reden hören undt sie
ist ja auff allen seytten von guttem hauß genung, umb nicht von
nöhten zu haben, ihre angen auff die prob zu setzen. Ich wünsche
ihr alles glück undt bitte, liebe Louisse, Ihr mögt sie doch gar
freündtlich von [mir] grüßen; aber schreiben darff ich ihr nicht undt
ebenso wenig alß ihre mutter, welche sie doch allezeit von hertzen
lieb behält, daß kan ich woll mitt warheit sagen. Ich habe gar
eine schönne große bibel zu Versaille, darin seindt in folio schönne
kupfferstück; sie ist zu Luneburg gedruckt, gar schon gedruckt
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undt recht leßlich. Ich leße allezeit drin, wen ich zu Versaille bin;
aber zu Marly habe ich eine bibel von Merian von Franckfort, so
mir ma tante von Maubuisson s. kurtz vor ihrem endt geben. Wen
ich reiße, habe ich biblen in 2 tomen; aber sie haben viel fehler
im gedruckten undt etliche wörter seindt auch nicht recht, sie
seindt zu Basel getruckt; die wittenbergische habe ich nie
gesehen.
[11] Mich wundert, daß die hertzogin von Zell so nahe bey
ihren enckelen war, ohne sie zu sehen; daß seindt hießige
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tendressen. Ma tante war woll zufrieden von dießer hertzogin, wen
sie nur ihre dochter nicht so bludts-übel erzogen hette.
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Zudem so war sie auch warlich von gar zu geringen stoff, eine
hertzogin von Zell zu werden; den alle ihre ambition war hir, meines
herrn s. ersten cammerdinner [zu heirathen], so Colin
[14] [hieß] undt
deßen sohn mein haußhoffmeister.
[15] Also ist es eine sach, die ich
weiß, alß wen ichs gesehen hette. Alle freündt undt verwanten
seindt, wie ich sehe, kommen, umb von der printzes von Wallis
abschidt zu nehmen. Ich glaube nicht, daß sie einander so baldt
wider sehen werden. Hiemitt ist Ewer brieff vollig beantwortet.
Weillen Ihr die leütte hir nicht kendt, kan ich Eüch nichts neües
sagen, schließe nur mitt der versicherung, daß ich Eüch allezeit von
hertzen lieb behalten werde. Adieu von Fontainebleau, liebe Louisse!
Über 8 tag werde ich Eüch, wilß gott, von Versaille schreiben.