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Brief vom 20. Oktober 1714

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


670.


[465]
Fontainebleau den 20 October 1714.
Hertzallerliebe Louise, dießes ist leyder der letzte brieff, so ich Eüch von dem lieben Fontainebleau schreiben werde; den biß mitwog werden wir weg undt montag wirdt die letzte jagt in dießem schönnen waldt[1] sein. Bey Marly undt Versaillen ist nichts, so dabey kommen kan. Waß mir noch ahn dießem ort hir gefelt, ist, daß alle sähl undt gallerien gantz [deutsch] außsehen; wen man in den Schweytzersahl geht, sicht es recht auß wie ein alter teütscher sahl mitt ercker undt getaffelts undt bäncken.[2] Ich fühle augenscheinlich, daß die lufft hir, wie auch daß jagen, mir woll bekompt undt mir eine gutte gesundtheit gibt; es vertreibt undt dissipirt die trawerige gedancken undt nichts ist mir ungesunder, alß trawerig sein. Bißher seindt, gott lob, alle unßere jagten gar woll abgeloffen. Vergangen donnerstag fung man einen hirsch, der ein wenig böß war. Ein edelman stig auff den felßen hinter dem hirsch undt gab ihm einen hieb in den schenckel; da könte er den kopff [466] nicht mehr bücken, war also ohne gefahr. Hinter meiner calesch war eine calesch mitt 3 geistliche, der ertzbischoff von Lion undt 2 abte, welche daß jagen nicht gewont sein; die, wie der hirsch sich ihnen nur wieß, sprangen 2 auß der calesch undt versteckten sich hinter der calesch plat auff dem boden. Es ist mir leydt, daß ich dieße scene nicht gesehen habe, hette mich braff lachen machen; den wir andere alte jäger scheüen die hirsche nicht so sehr.[3] Ich habe auff der jagt Ewer compliment ahm churprintzen[4] gemacht undt I. L. gesagt, wie Ihr ihn, liebe Louisse, Ewers respect versichert. Er hatt mir nur eine große reverentz gemacht, aber nichts geantwort. Ich bin gar nicht in seinen gnaden. Ich glaube, daß er meint, ich würde von religion reden undt ihn persuadiren wollen, zu endern, den es ist noch gar nicht geschehen. Aber der gutte herr betrigt sich sehr; ich bin gar kein apostel[5] undt finde gar gutt, daß ein jeder nach seinem gewißen glaubt; undt solte man meine raht folgen, würde nie kein zanck über die religion werden undt man würde die laster undt nicht die glauben verfolgen undt suchen zu verbeßern undt corigiren.[6] Aber der gutte churprintz ist so verscheücht, daß, ohne zu examiniren, alles bang macht. Hagen hatt mich wenig zusprechen laßen, seinem printzen zuzusprechen; allein ich habe geantwort, daß ich die contreversen gar nicht verstehe undt mich nur umb meinen eygenen glauben bekümern könne. Also thut mir der churprintz groß unrecht, mich zu sehr zu schewen. Ich mag ihn auch woll übel gefallen, weillen ich ein alt weib bin; aber daß stehet nicht zu endern undt wirdt alle tag ärger werden. Weillen dießer herr noch bißher fest auff seine religion gehalten hatt, kan ich nicht glauben, daß er jemahls endern wirdt. Keine bibel hatt der printz, noch gesangbuch; allein er hatt ein buch mitt eygener handt geschrieben, worinen er bett, wie seine leütte sagen. Ich glaube nicht, daß ihm hir etwaß gefelt außer die jagt. Er ist choquirt, daß sich die weiber hir so sehr schmincken. [467] Ich kene ma tante s. woll ahn waß sie possirliches durch Eüch ahn den churprintzen hatt sagen laßen. Es ist woll recht poßirlich, wen ein Türk sich zu der christlichen religion begeben thäte undt doch im hertzen ein Turq oder heydt bliebe. Daß were heüchelley, liebe Louisse! Aber in den christlichen religionen nur die bibel außzulegen undt zu glauben, wie man kan undt in seinem hertzen begreifft, daß kan nie geheüchelt heißen. Christen sollen alle bruder sein, undt es ist nur der pfaffen schuldt, die durch ihren ehrgeitz die christliche religion gegen einander hetzen undt den zwitracht machen, umb daß ein jedes in seiner religion regiren möge undt den meister spillen. Den churprintzen sehe ich selten, den ich habe nachmittags weder musiq, noch spiel undt geselschafft, leb vor mir weg undt handthire wenig leütte. Die ich sehe, tractire ich so hofflich, alß mir immer möglich ist; aber weder große gemeinschafft, noch vertraulichkeit habe ich mitt niemandts. Ich glaube nicht, daß der churprintz nie bekandt mitt mir wirdt; ich sehe woll, daß er mich scheütt. Hir spricht er gar wenig, man muß ihm die worter außpreßen. Er ist schön von gesicht, hatt gutte maniren undt minen; daß wenige, so er spricht, ist woll gesagt; man sicht woll, daß er verstandt hatt undt ahngenehm ist, wens ihm beliebt. Er gefelt hir ahn jederman. Daß ist, waß ich Eüch vom churprintzen von Saxsen sagen kan. Waß Chur-Bayern ahnbelangt, so kompt er gar nicht fleißig zu mir. In 5 jahren habe ich I. L. nur zweymahl in meiner cammer gesehen;[7] daß ist ja nicht zu viel undt mitt mir hatt er gar keine freündtschafft, nur mitt madame la duchesse undt ihren döchtern. Waß mich glauben macht, daß die printzes von Wallis nichts anderst pretendiren kan, alß waß die hertzogin von Jorck gehabt hatt, ist, daß der hertzog von Jorck ja heritier pressomtif war, weillen könig Carl keine andern erben hatte; auch ist ja der duc de Jorck könig in Englandt gecrönet worden undt konig gelebt undt gestorben. Es ist eine albere sach mitt den ceremonien, ich liebe sie gar nicht.[8] Seigneur Ortence[9] bin ich recht verobligirt, so fleißig ahn mich zu gedencken. Der gutte man muß doch nun alt sein; den er war doch ein gestan[den]er man, wie ich noch ein kindt war, undt ich [468] bin doch nun schon über 62 jahr alt. Wen Ihr ihm schreibt, so grüst ihn doch von meinetwegen! Ich wuste nicht, daß die printzes von Wallis 3 printzessinen hatt; ich meinte, sie hette nur einen printzen undt 2 princessinen. Wen hatt sie den die tritte bekommen? Nun soll es I. L. nicht leydt sein, viel princessinen zu haben, den die seindt in Engellandt eben so gutt, alß printzen. Sie reißen nicht junger, alß ich; den ich war nur 4 jahr, wie ich nach Neüstatt reiste, undt nur 7 jahr alt, wie man mich nach Hanover schickte, undt nur 8 jahr alt, wie ich mitt ma tante nach dem Haag reiste; habe mich mein leben nicht beßer befunden, alß wen ich gereist habe. Wir haben etliche tage kalt hir gehabt, allein daß warme wetter hatt wider drauff erfolgt. Wir haben bey 6 oder 7 tagen so warm gehabt, daß wir geschwitzt haben; dießen abendt aber fengt es ein wenig ahn kalt zu werden, undt der nordwindt lest sich starck fühlen. Printz Friderich[10] jammert mich, so ohne eltern allein zu bleiben; jedoch unter unß gerett, so halte ich ihn vor glücklicher, zu Hannover zu bleiben, alß [bei] seinen groß herr vatter in Engellandt zu sein. Ich habe dießes printzen contrefait, finde, daß er sehr ahn seinen uhralt herr vatter, hertzog Jorg Wilhelm s., gleicht. Ich dancke Eüch, liebe Louisse, mir die gazetten [zu schicken]; ich leße sie fleißig auff der jagt selber undt divertiren mich recht, undt wen ich sie geleßen, gebe ich sie ahn Lenor. Ihre dochter, die freüllen Wilhelme, nimbt eine gutte parthie; sie wirdt sich woll dabey befinden undt beßere ruhe in dießer gelaßenheit, mehr ruhe haben undt finden. In dießer welt hatt ja niemandts freyheit. Mich deücht, ein gutter heüraht were reputirlicher; den von stifftsfreüllen habe ich allezeit übel reden hören undt sie ist ja auff allen seytten von guttem hauß genung, umb nicht von nöhten zu haben, ihre angen auff die prob zu setzen. Ich wünsche ihr alles glück undt bitte, liebe Louisse, Ihr mögt sie doch gar freündtlich von [mir] grüßen; aber schreiben darff ich ihr nicht undt ebenso wenig alß ihre mutter, welche sie doch allezeit von hertzen lieb behält, daß kan ich woll mitt warheit sagen. Ich habe gar eine schönne große bibel zu Versaille, darin seindt in folio schönne kupfferstück; sie ist zu Luneburg gedruckt, gar schon gedruckt [469] undt recht leßlich. Ich leße allezeit drin, wen ich zu Versaille bin; aber zu Marly habe ich eine bibel von Merian von Franckfort, so mir ma tante von Maubuisson s. kurtz vor ihrem endt geben. Wen ich reiße, habe ich biblen in 2 tomen; aber sie haben viel fehler im gedruckten undt etliche wörter seindt auch nicht recht, sie seindt zu Basel getruckt; die wittenbergische habe ich nie gesehen.[11] Mich wundert, daß die hertzogin von Zell so nahe bey ihren enckelen war, ohne sie zu sehen; daß seindt hießige[12] tendressen. Ma tante war woll zufrieden von dießer hertzogin, wen sie nur ihre dochter nicht so bludts-übel erzogen hette.[13] Zudem so war sie auch warlich von gar zu geringen stoff, eine hertzogin von Zell zu werden; den alle ihre ambition war hir, meines herrn s. ersten cammerdinner [zu heirathen], so Colin[14] [hieß] undt deßen sohn mein haußhoffmeister.[15] Also ist es eine sach, die ich weiß, alß wen ichs gesehen hette. Alle freündt undt verwanten seindt, wie ich sehe, kommen, umb von der printzes von Wallis abschidt zu nehmen. Ich glaube nicht, daß sie einander so baldt wider sehen werden. Hiemitt ist Ewer brieff vollig beantwortet. Weillen Ihr die leütte hir nicht kendt, kan ich Eüch nichts neües sagen, schließe nur mitt der versicherung, daß ich Eüch allezeit von hertzen lieb behalten werde. Adieu von Fontainebleau, liebe Louisse! Über 8 tag werde ich Eüch, wilß gott, von Versaille schreiben.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 20. Oktober 1714 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 465–469
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0670.html
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