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Brief vom 11. November 1714

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


674.


[478]
Marly den 11 November 1714.
Hertzallerliebe Louise, hirmitt komme ich, mein wort halten undt auff Ewer liebes schreiben vom 30 October zu andtwortten; sehe gar gern, daß unßere brieffe nun so richtig gehen. Von Fontainebleau will ich nichts mehr sagen, daß ist nun vorbey; allein es ist gewiß, daß ich es vor den ahngenehmbsten ort von gantz [479] Franckreich halte, undt waß mir noch dran gefelt, ist, daß es gantz teütsch außsicht.[1] Ich bin auch gar woll logirt, habe eine raisonable salle des gardes, eine antichambre, so groß genung ist, umb drinen zu eßen, eine große schlaffkammer, auch eine kleine mitt einem alcove, wo ich vor dießem in schlief, wie Monsieur s. noch lebte, ein groß undt schön cabinet, wo es im heisten sommer nie heiß ist (den die [sonne] ist nur da, wen sie auffstehet),[2] eine kleine garderobe, wo mein, met verlöff, kackstuhl ist, daß hatt ein degagement[3] auff den balcon undt graben. Darnach habe ich noch bey meiner cammer 2 andere cabineten, die lehne[4] ich meiner dame d’atour, madame de Chasteautier;[5] den sie ist so abscheülich hoch logirt, daß es gar zu ungemachlich vor sie were, so offt deß tags auff- undt abzusteigen. Durch die fenster in meiner cammer kan ich alles sehen, waß in dem hoff, so man la cour de l’oval[6] heist, passirt, undt im cabinet sehe ich alles, waß im vorhoff, so man la cour des cuissines heist, vorgeht undt auch im hoff de la consiergerie, wo gar viel leütte logiren. Also kan einem dort die zeit kein augenblick lang fallen. Monsieur Boltzing erinere mich gar nicht; den es kommen deß jahrs durch so viel Teütschen her, daß man es unmöglich behalten kan. Meine gesundtheit hatt zu Versaille nicht lang bestandt gehalten; den den dinstag, nachdem wir ahnkommen, habe ich einen abscheüllichen husten undt schnupen bekommen, wie, wo mir recht, ich Eüch schon vergangenen donerstag verzehlt habe. Liebe Louisse, daß ist nun, gott lob, gantz vorbey. Vergangen freytag ist mir eine possirliche avanture begegnet, so ich Eüch doch verzehlen muß. Wie wir au rendevous kammen, wurde mir abscheülich noht, zu pißen; ich ließ mich gantz auß ander eck vom walt führen undt stiege hinter einer dicken hecken ab. Aber secht, wie der teüffel sein spiel hatt! Ich hatte nicht so baldt ahngefangen, zu pißen, so schickt er den hirsch geradt, wo ich war. Da wurde mir so bang, daß die gantze jagt folgen würde, daß ich geschwindt wider zu der calesch eyllen wolte; allein eine brombeerstrauch wickelt sich umb mein fuß undt ich [480] platsch nauß wie eine crotte, that mir aber kein wehe, den es seindt so viel blätter im holtz, daß man drein wie in einem federbett felt. Ich muste aber umb hülff rufen, den ich war so eingewickelt, daß ich nicht allein aufstehen kont; bliebe bey der jagt, so zwey stundt just dawerte undt gar schön war. Ich [fühlte] keinen großen schmertz, aber wie ich wider her in meine cammer kam, da thate mir der verstaugte fuß gar wehe, undt gestern konte ich kaum drauf tretten, muste nur in kärchel spatziren, könt nicht gehen, ohne sehr zu hinken. Heütte ist es schon wider beßer, hoffe, daß es nicht dawern wirdt; sonsten bin ich, gott sey danck, frisch undt gesundt. Alle trawerige gedancken auß dem hertzen zu schlagen, ist nicht leicht zu thun; nicht davon zu reden undt suchen, sich zu distrairen, daß kan ich undt thue es auch, aber mehr ist mir ohnmöglich. Waß in den gazetten stehet, da ist, gott lob, kein eintzig wordt war ahn; mein sohn undt ich haben drüber gelacht; er kendt den premier pressident d’Aire nur von nahmen, hatt ihn weder gesehen noch gesprochen undt schreiben einander gar nicht. Also habe ich, gott sey danck, hirüber gar kein chagrin gehabt. Meinen geraden weg gehe ich gar gewiß immer fort undt übergebe alles, waß mich ahngebt, gott dem allmächtigen. Der churprintz hatt woll nicht zu förchten, daß ich ihm von religion sprechen werde. Ich bin ein schlechter apostel,[7] bekümere mich umb nichts, waß andere glauben, dencke nur ahn den meinen,[8] welchen ich gott bitte zu meiner seeligkeit zu erleüchten. Anderer leütte glauben geht mir gar nichts ahn. Man kan dießem printzen nichts in vertrawen sagen, er ist allezeit umbringt. Er fengt ein wenig ahn zahmer zu werden undt mehr zu sprechen. Letztmahl zu Versaille sprach er mehr, alß ordinari, undt wohl, es ist ein artiger her. Monsieur Hagen hatte mich zwar gebetten, dem printzen wegen der religion zuzusprechen, aber ich habe mich sehr deßwegen endtschuldiget undt blat herauß gesagt, daß ich es nicht thun werde. Ich muß lachen, daß Ihr sagt, daß Ihr hertzlich heßlich seydt; daß [bin] ich auch undt allezeit geweßen, liebe Louisse! bin aber 10 gutter jahr älter, alß Ihr, [muß] alßo noch ärger, alß Ihr, in schönheit sein. Ich gestehe, ich habe gemeint, daß mein alter den jungen [481] churprintzen scheü mache; den, man muß die warheit sagen, 62 jahr undt 18 schicken sich nicht woll beysamen. Mir hatt man daß bibel-leßen gar nicht verbotten; überall habe ich biblen, Merian seine ist hir, die luneburgische zu Versaille undt zu Fontainebleau die reißbibel, so in 2 tomen ist,[9] undt wen ich von einem ort weg gehe, zeichene ich auff ein klein papirgen, ahn welche capittel undt psalmen ich bin, kan also gleich wider leßen. Dancke sehr, liebe Louisse, vor Ewern gutten [wunsch], welcher woll der beste ist, so man einem thun kan; den dieße zeit ist kurtz, die ewige aber gar lang. In die wenig tage, so wir zu Versaille geweßen, habe ich keine brieffe brenen können; den es gehört zeit dazu; aber ich glaube nicht, daß ich etwaß finden werde, den wen ma tante s. mir waß[10] schriebe, befahl sie mir, gleich den brieff zu brenen, welches ich auch alß gleich gethan.[11] Der könig in Preussen ist langsam in seinen resolution. Aber da schlegt es 12, ich muß in kirch. Nach dem eßen werde ich nach Versaille, da werde ich dießen brieff außschreiben. Adieu den biß dahin, liebe Louisse! Nachdem ich wider auß der kirch werde kommen sein, hoffe ich noch ein par wordt zu sagen können.
Sontag, den 11 November, umb 3 viertel auff 1.
Es ist schon bey einer viertel-stundt, daß ich auß der kirch bin kommen. Es heist hir: Kurtze gebett undt lange brattwürst;[12] heütte aber solte man eher eine Martinganß eßen, den es ist heütte sanct Martiny. Der gutte signeur Hortence,[13] ich habe ihn allezeit vor einen gutten, ehrlichen man gehalten; er muß nicht viel junger, alß unßere liebe churfürstin s., geweßen sein; den ich war ein kindt von 7 jahren, wie ich ihn daß erste mahl gesehen, undt er war schon ein gestannener mensch undt gar kein kindt mehr; halte ihn also eher vor alter, alß junger. Es ist niemandts mehr persuadirt, alß ich bin, daß unßer ziehl unß gesetzt ist undt niemandt drüber schreitten kan. Sagt man nun in Teütschlandt, ahnstadt hoffmeisterin von einer jungen printzessin, oberauffsichterin? Daß [482] ist mir gantz etwaß neües. Ich glaube, daß, wen ich in Teütschlandt kommen solte, würde ich nichts mehr kenen;[14] ich würde die leütte nicht mehr verstehen, noch sie mich, wen man so gantz neüe worter inventirt hatt. Daß schmeichlen verstehen alle frantzosche weiber auff ein endt, aber auffrigtig sein, ist nicht gar gemein bey ihnen. Wie es in dem fall mitt der hertzogin von Zel beschaffen ist, weiß ich nicht; den es ist keine regel ohne exception. Die fürstin von Hannaw ist der printzes von Wallis halbschwester. Daß alte liedt, so Ihr cittirt, hatte ich nie gehört, ist possirlich. Aber man rufft mich, man hatt ahngericht. Ich hoffe, noch nach dem eßen, ehe ich nach Versaille werde, dießen brieff noch außzuschreiben können.
Sontag umb 2 uhr nachmittags.
Ich komme eben von taffel, liebe Louise, undt meine kutschen seindt noch nicht kommen, also hoffe ich, noch außzuschreiben können, ehe ich weg werde. Ob ich zwar die gazetten gerne leße, so kan ich Eüch doch mitt warheit sagen, liebe Louisse, daß Ewere schreiben mir doch ahngenehmer sein; den erstlich kompt es mir von einer lieben handt, zum andern so sprecht Ihr mir von viel mehr sachen, worin ich mich interessire, alß die gazette. Es ist mir lieb, daß mein gruß dem freüllen Wilhelmel[15] ahngenehm geweßen. Sie kan sicher sein, daß ihre mutter vor ihr thun wirdt, waß ihr möglich undt billig ist. Adieu, liebe Louise! Meine kutschen seindt kommen; ich muß enden undt vor dießmahl nichts mehr sagen, alß daß ich Eüch von hertzen ambrassire undt Euch allezeit von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 11. November 1714 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 478–482
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0674.html
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