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Brief vom 21. April 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1115.


[119]
St Clou den 21 April 1720 (N. 86).
Hertzallerliebe Louise, seyder gestern umb 1 uhr nachmittag bin ich, gott seye danck, in meinen lieben St Clou in meiner ruhe kommen. Ich hatte es hoch von nöhten; den ich war Paris müder, alß nie; man hört undt sicht nichts, alß abscheüliche sagen[1]. Vorgestern hatt man noch 3 todten körper gefunden, denen man den [120] bauch auffgeschnitten undt alles eingeweydt heraußgenohmen. Gestern morgendts erfuhre ich, daß der consierge im palais, ein gutt, ehrlich manchen, so Monsieur s. 40 jahr alß cammerknecht gedint hatte undt mir sehr affectionirt war, nachts umb 12 gestorben[2]; undt [ne]ben ihm logirte ein edelman, so madame d’Orleans escuyer war, der ist in selbiger stundt auch gestorben; wahren beyde recht ehrliche, gutte leütte. Daß macht einem nachdenckisch undt trawerig. Aber daß liebe St Clou, wo ich still undt in ruhen lebe, wirdt mich schon wider in ruhe bringen. Ich ging gestern früh nach bett; den ich ware müde, den tag getrepelt zu haben, umb mich einzurüsten. Solch trepelen macht einem müder, alß wen [man] eine meill wegs geraht fortging. Ich hoffe, heütte vollig auff Ewere liebe schreiben vom 30 Mertz, no 26, undt daß vom 2 dießes monts, no 27, vollig zu andtwortten können; fange bey dem frischten ahn. Es müßen Eüch von meinen brieffen fehlen, liebe Louisse! Den ich finde auff meinem callender, daß ich den 23 78 geschiffert[3]. Ich habe es aber weytter alleweill gesucht undt auch gefunden, daß ich mich betrogen undt, ahnstadt 78, 75 hette setzen sollen; werde hinfüro beßer nachsehen, aber nun nur fort setzen. Zu Paris ist man immer geplagt undt hatt kein augenblick ruhe. Ich getröste mich heütte deß heßlichen wetter; den es geht ein großer scharpffer windt undt wirdt auch baldt regnen, den der himmehl ist gantz überzogen. Ich getroste michs heütte gar sehr, weillen es mir mehr zeit gibt, Eüch undt mein dochter zu entreteniren. Es liegt mir schwer auff der brust, wen ich gedencke, liebe Louisse, daß Ihr meine albere brieffe mehr, alß einmahl, überlest; daß muß Eüch ja langweillig sein. Wehret Ihr so woll catholisch, alß reformirt, solte ich vermeinen, Ewer beichtsvatter würde Eüch dieße langeweill zur buß aufferlegt haben, umb Eüch zu mortificiren, wie die keyßerin Leonor alß zu thun pflegte. Es seindt viel leütte hir, die nicht wie Ihr seindt undt mein langweilliges geplauder baldt müde werden. Nein, liebe Louise, ich bekümere mich nicht, umb vielle vorsprach zu thun, habe mir nur vorbehalten, vor verwantten, gutte freünde undt meine bedinten zu sprechen kommen; andere andtworte ich: Je ne me mesle de rien de ce qui reguarde la regence, [121] undt daß ist auch wahr. Franckreich ist nur zu lang undter weiberhanden geweßen. Ich will mein kunst nicht dran probiren, alles zu verderben; behütte mich gott davon[4]! Auch bin ich gantz undt gar nicht ambitieux, begehre nichts zu regier[e]n, alß mich selber, undt sonsten nur in friedt undt ruhen leben, wens möglich sein kan. Viel hir verwundern sich, daß ich meine kleine encklen nicht zu mir nehme, sie zu erziehen; aber ihre 3 groß[e] schwestern haben mir die sach, wo ich vorher nicht große inclination zu hatte, gantz verleydt. Da werde ich mich mein leben nicht mitt schleppen; sie haben vatter undt mutter, die mögen sie nach ihrem sin erziehen. Graff Horn war bitter übel erzogen undt hatte sich mitt alle filloux von Paris associert, alß[5] kein wunder, daß er so zu nichts nutz geworden; war ein leichtfertiger gesel in allen stucken, abscheülicher sodomit, suma, auß[er] daß er ein artige figur hatte, war gar nichts lobliches ahn ihm; den gebuhrt ist von[6] nichts zu rechnen, wen keine tugendt darbey ist. Ein abgrundt zicht den andern nach; hatt doch ein schön endt gehabt undt seine sündt woll bereüet[7]; hoffe, daß i[h]n der allmachtige in gnaden wirdt ahngesehen haben. Vor dießem ist es gar gewiß, daß unßere Teütschen tugendtsam geweßen sein; aber nun höre ich, daß sie allezeit viel laster auß Frankreich bringen, insonderheit die sodomie, die ist abscheülich zu Paris, daß zicht alle andere laster nach sich. Es ist [wahr], daß Gauthier de la Forastiere ein ehrlicher man ist; aber ich plag ihn offt mitt seinem landt. Schlaw ist er gantz undt gar nicht, eher ein gutter, einfeltiger tropff. Seyder die königin mitt 8 pferden gefahren, habe ich nicht weniger gehabt. Der erste, so es [122] ahngefangen, war der letzt verstorbene duc de la Feüillade. Wir habens von nohten, weillen unßere kütschen gar schwer sein; da ist kein rang, fährt mitt 8 pferden, wer will. Aber, wie schon gesagt, es ist woll 40 jahr, daß ich mitt 8 pferden vor meinen kutschen fahren[8] aber in caleschen fahr ich ordinarie nur mitt 6 pferden. Ich muß lachen, daß Ihr, liebe Louise, gemeint, daß ich so mitt 8 pferden fahre, weillen ich die erste bin. Ich bin nicht zu hoffartig, aber ich halte doch meine dignitet, wie es billig ist. Der hertzog von Lotteringen hatt vor zwey jahren von liverey geendert undt, ahnstatt grün undt roht gefüttert, jetzt roht, mitt gelb gefüttert. Die erste gefiel mir beßer, dieße rohte ist zu gemein; madame de Brancas ihre ist ebenso. Die keyßerliche liverey ist gehlb undt schwartz, daß ist nicht schön. Zu Paris will man mitt aller gewalt, daß der keyßer todt sein solle undt mitt einem pfert gestürtzt sein, wo er eine ader solle gebrochen haben, wovon er gestorben sein solle[9]. Ich glaube aber nicht, daß es war ist, weillen man auß Teütschlandt nichts davon schreibt, da man es doch woll wißen solte insonderheit. Mein dochter ist nicht schwanger, andere leütte seindts aber; also werden sie doch nicht kommen. Ich bin recht fro, daß mein dochter nicht schwanger ist; aber[10] nach 40 jahren ist es gefahrlicher, kinder zu bekommen, undt sie ist schon nahe bey 45 jahren, wirdt 45 jahr den 13 September complet haben. Solte es war sein, daß der keyßer todt sein, würde Teütschlandt nicht ohne krieg sein. Gott bewahre davor! Zu Paris haben wir etlich tag schon wetter gehabt; nun fengt es aber wider ahn, kalt [zu] werden undt sehr feücht. Ich mogte vielleicht heütt noch woll etwaß von Eüch entpfangen, aber erst gar spät schreiben; den da kompt ein courier von meiner dochter, muß gleich nach dem eßen ahn sie schreiben. Ewer liebes schreiben vom 2, no 27, ist doch vollig beantwortet, daß andere spare ich vor nach der complie[11] außschreiben. [123]
Sontag umb 9 abendts.
O mein gott, liebe Louise, wie bin ich heütte e[i]ne geplagte seehle! Ein augenblick, nachdem ich ahngefangen, ahn mein dochter zu schreiben, bin ich entschlaffen. Wie ich wacker worden, hatt man ins salut geleüdt, hab in kirch gemüst, bin umb 5 auß der kirch kommen, [habe] einen brieff von 10 bogen ahn mein docht[e]r geschrieben durch einen expressen courier vom hertzog von Lotteringen. Ich dachte, noch zeit zu finden, auff Ewer zweyttes liebes schreiben zu andtwortten; aber mein enckel, der duc de Chartre[s], [ist] ahngestochen kommen undt hernach hatt man mir noch ein brieff gebracht, so ich gleich habe beantworten müßen, undt kan also vor dießmahl nichts mehr sagen, alß das ich Eüch von hertzen lieb behalten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 21. April 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 119–123
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1115.html
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