Seitenbanner

Brief vom 4. Mai 1716

von Gottfried Wilhelm von Leibniz
an Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans


8.


[045]
Hanover den 4 Maii 1716.
Durchleuchtigste Herzogin,
Gnädigste Fürstin und Frau.
E. Königliche Hoheit wollen nicht ungnädig aufnehmen, daß mich jezo einer frembden Hand wegen schwäche der [046] meinigen bediene.[1] Sie würden mir gnade genug thun, wenn Sie etwa zu zeiten mir wissen ließen, daß meine unterthänigste Schreiben Dero nicht unangenehm, ob sie wohl Dero wenig Vergnügen geben können, indem mir wenig ohngemeines von Weltsachen kund wird. Mir ist inzwischen lieb zu vernehmen, daß die Cron Prinzeß sich bemühet, E. K. H. zu unterhalten. Wiewohl niemand E. K. H. größeres Vergnügen in allem geben kan, als der Hr. Sohn, Regent des Königreichs, deßen vortreflicher Geist jederman vergnüget außer denen, welche er wegen des gemeinen besten zusetzen und abfallen muß und die bey dem vorigen Hof zu weit gangen, worunter ich im Lande die Blutiegel der Unterthanen, außer Landes Rom, Schweden und den Praetendenten rechne. Unter dem nahmen der ersten wird wohl mancher ehrlicher und unschuldiger mit leiden müßen; ich zweifle aber nicht, man werde allen fleiß anwenden, sie von den andern zu unterscheiden. Rom betreffend so ist es hohe Zeit gewesen, daß man die alte Regeln der französischen Kirche wieder herfürgesuchet; denn der französischen Nation muß man das Lob geben, daß sie die einige unter denen so Rom noch anhangen, welche noch einigermaßen den mehr und mehr einreißenden Mißbräuchen die Wage halten.[2] Und wenn dermahleins eine Verbeßerung der Kirche zu hoffen, wird es vermuhtlich durch Vermittlung Franckreichs geschehen müßen. Sonst bedüncket mich, daß es wegen der Constitution meist auff Wortstreite ankomme, welche ich theils in meiner Theodicée außeinander zu wickeln gesucht. Und daher hat man große Ursach, auff erclärungen zu dringen.
Schweden ist durch des Königs eigensinn in solchen stand gesezet, daß der Cron schwehrlich zu helffen, wenn nicht der Kayser, Franckreich, England, Holland deswegen zusammen treten. Ich besorge, des Königs einfall in Norwegen dürffte ihm vollends den garauß machen, denn man sagt, nachdem das Thauwetter eingefallen, sey der rückweg schwehr; solte nun auch dieses heer zu grunde gerichtet werden, wie wird man denn Moscau und Dennemarck wiederstehen, so in Schweden von beyden seiten einbrechen? Es wäre hohe Zeit, daß [047] wenigstens ein stillstand oder beßer friede getroffen würde, und daran solte billig der Kayser, Franckreich, Groß Britannien arbeiten, und so köndte der Czar seine macht gegen die Türcken wenden.
In England hält man dafür, der praetendent seye ihnen zu Avignon noch zu nahe. Sein Einfall in Schottland hat dem Könige große Vortheile bracht, und ich glaube nicht, daß man würde an die auffhebung oder vielmehr erstreckung des dreyjährigen Parlament-Termins gedacht haben, wenn dieser Einbruch nicht geschehen. Ich bilde mir ein, der Hof werde des Oberhauses versichert seyn, sonst wäre es mit diesem Vorschlage sehr gewaget. Des Unterhauses kan man sich ehe versichert halten, denn dem ist an solcher erstreckung gelegen. Das Parlament wird dem Könige nicht wiederrahten können, herauß zu kommen, umb seiner gesundheit zu pflegen. Es würde mir lieb seyn, wenn es wahr wäre, daß Bullingbrook[3] wieder in England käme und eine bekäntniß thäte, so köndte die Welt eine schöhne Histori erfahren, die sonst guhten theils verborgen bleiben wird: wie es nehmlich mit Utrechtischem Friedenswerck vom anfange biß zum ende zugangen. Denn die Herren des vorigen Englischen Hofes haben sich so wohl in acht genommen, daß man in ihren briefschafften nichts rechts gefunden. In des Raby oder Straffords[4] Briefen an die unvergleichliche Churfürstin ist der leute böses absehn zimlich zu ersehn gewesen und haben sich die lezten Briefe mit den ersten übel gereimet, ich auch selbst einige wiedersprechungen darinn gezeiget. Aber sie haben sich zulezt wenig drumb bekümmert, was man zu Hanover von ihm urtheile, nachdem sie gesehn, daß man ihre streiche mercke und sich von ihnen nicht bey der Nase herumb führen laßen wolle, sonderlich nachdem der Churfürst nicht zu bereden gewesen, seine Völcker dem Duc d’Ormond[5] folgen und die neutralität ergreiffen zu lassen.
Es erfreut mich höchlich zu vernehmen, daß des Regenten K. H. sich mit ihrem auge beßer befinden; Gott gebe baldige vollkommene herstellung. Daß Sie anjezo mit dem Tschirnhausischen brennglas umbgehen oder meine schrifft von [048] Ankunfft der Francken lesen solten, das wolte ich ihnen selbst nicht rahten, wenn ich gleich Hr. Remond oder doctor Homberg wäre; gnug ists, daß sie gnädige augen auff solche sachen werffen und die leute, die was guhtes thun wollen, aufmuntern. Daß sie auch lieber junge damen als graue bärthe sehn, ist natürlich und billig. Sie haben zwar außer zweifel große Mühe, aber ich bilde mir ein, sie können solche durch eine guhte Ordnung sehr vermindern, werdens auch zweifelsohne thun, denn wer wolte es sonst außstehen.
Ich glaube gänzlich, das Reich, Frankreich und England können lange Zeit in ruhe stehn, wenn ein jeder bey dem seinigen bleibet und, da ein streit entstehet, sie sich des Friedensrahts des loblichen geistlichen Herrn bedienen, der die Ehre hat bey E. K. H. zu seyn, das ist den streit durch ohnpartheyische schiedsrichter beilegen laßen. Alle briefe aus Wien halten den Türckenkrieg vor gewiß, weil die Türcken nicht abstehn wollen, Dalmatien anzugreiffen, und das kan der Kayser ohnmüglich leiden. Weil der Prinz Eugenius keine große lust zeiget, die Stadthalterschafft der Spanischen Niederlande anzunehmen, so haben die Landesverordnete sich erkühnet, umb eine Erzherzogin zu bitten, und machen sich einige hofnung dazu. Sie wolten gern etliche löcher in den Tractat des Kaysers mit Holland machen, aber sie hätten vor dessen schluß sprechen müßen.
Zu Wien ist der gemeine Mann fast toll vor Freude gewesen über die gebuhrt vom Erzherzog.[6] Es ist etwas artiges, daß ein Nürnberger schohn vor etlichen Monahten den spruch auß Luc. 1. vers 36 [und siehe Elisabet ist auch schwanger mit einem sohne, die in geschrey ist, daß sie unfruchtbar sey] auff die junge Kayserin gezogen. Er hat aus den worthen vermittelst Zahlen eine cabalistische deutung gemacht, aber das ist nichts.
Der Czar hat einen doctor herumb geschickt, die Bäder zu besuchen; der soll ihm zum Aaker bade geraden haben, doch weiß man noch nichts gewißes. Er wird im Brandenburgischen erwartet und meinet man, er werde da mit seinen [049] beiden Bundsverwandten Königen sprechen, wie er schohn mit dem Könige Augusto gesprochen. Ohne ihn würde der König Augustus schwehrlich mit ehren aus dem Pohlnischen labyrinth kommen können. Es wird aber ein großes an des Königes ansehn abgehen.
Der Herzog von Mecklenburg Schwerin hat nun seine neue heyrath vollzogen[7]; ich nehme die freyheit, E. K. H. ein gedruckt Papier zu schicken, so vor ihn gemacht. Mir komt es poßirlich vor und zweifle ich, ob es der Herr selbst billige, kan auch nicht glauben, daß seine Rähte in ihrer versammlung dergleichen guht geheißen. Die Gleichniß mit dem Puppenmacher ist lächerlich und das lob der Vielweiberey sowohl als der Kebsweiberey schicken sich schöhn in eine fürstliche Schuzschrifft; aber mich bedüncket, man verliere immer mehr und mehr in der weit das absehn auff den Wohlstand. Wenn die Päbste das alte Christenthum in seinem stand gelassen und nicht mit aberglauben besudelt, möchte ich ihnen ein guhtes theil ihrer vor etlich hundert jahren gehabten macht wohl gönnen, da sich Könige und Fürsten ihrerhalben für offentliche unordnungen scheuen müssen.
Daß der Herzog von Zeiz selbst den Römischen glauben angenommen, da höhre ich zwar nichts von. Er hat aber dazu geholffen, daß seines Brudern sohn (da er selbst ohne söhne) und also sein vermuhtender Nachfolger, so ein Knabe, sich dazu gewendet. Und weiß ich nicht, ob S. D. es nicht machen werde wie der hochseel. Herzog Anton Ulrich, der gemeynet, weil er seine Enckelin zu diesem glauben befördert, müße er endtlich selbst folgen. Doch weil der Herzog zu Zeiz die Ceremonien nicht so sehr liebt als Herzog Anton Ulrich, so zweifle ich noch daran.
Ich bedancke mich unterthänigst vor die beschreibung des lufftfeuers; zu Helmstadt und zu Zell hat man ganze bücher davon gemacht, so aber zu weitläufftig und wohl unzulänglich ohne gründliche erclärung. Ich verbleibe etc.
Impressum
Datenschutz
KontaktPost
Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 4. Mai 1716 von Gottfried W. v. Leibniz an Elisabeth Charlotte
in: Briefwechsel zwischen Leibniz …, Hrsg. E. Bodemann (1884), S. 45–49
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d11b0008.html
Änderungsstand:
Tintenfass