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Brief vom 5. Juni 1721

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1233.


[134]
St Clou den 5 Juni 1721 (N. 97).
Hertzallerliebe Louise, vergangen Pfingst-tag, alß ich eben auß der kirch kam, wo ich zum h. abendtmahl gangen war, bin ich mitt Ewer liebes schreiben vom 24 May, no 41, erfrewet worden. Aber ehe ich drauff andtworte, muß ich etwaß sagen, so ich schon 2 posten vergeßen habe, nehmblich, daß seyder die 2 schachteln von dem nurnbergischen pflaster ich keines mehr entpfangen. Gestern bekame ich zwar die teütsche zeittung, aber es war keine schachtel dabey; ich mogte wißen, wie es mitt zugangen, ob man mir sie auff der post gestollen hatt, oder ob man keine geschickt. Es ist gewiß, daß ich, seyder Ihr, liebe Louisse, zu Geißenheim seidt, Ewere liebe schreiben viel geschwinder entpfangen, alß von [135] Franckfort; dießes letzte ist ja nur 7 tag unterwegen geweßen. Ich habe schon 2 von meinen brieffen über Brüssel undt Bingen adressirt; auff keines von dießen hab ich noch keine andtwordt bekommen, kan also noch nicht wißen, ob sie so sicher, alß die Ewerige, gangen sein. Seyder vergangen sontag haben wir daß schönste wetter von der welt hir, aber ein recht frühlings-wetter, sehr ahngenehm, wetter zu warm, noch zu kalt. Man sagt hir, die ursach seye, weillen wir noch in dem Mayen-mont sein, so den 26 May erst ahngefangen. Es ist gewiß, daß daß wetter mehr kühl, alß warm, ist. Waß wetter aber auch sein mag, so könte ich doch nicht viel spatziren, liebe Louise! Den seyder meiner aderläß seindt meine schenckel undt knie so matt undt voller schmertzen, wen ich gehen will, daß ich mich nur contentiren muß, in caleschen zu spatziren. Daß ist waß betrübts vor jemandts, so so gern zu fuß gehet, wie ich. Der nordtwindt regirt auch seyder langer zeit hir; ich glaube, daß dieß die schuldt ist, daß die erdtbeeren undt erste kirschen alle so sauer undt bitter sein undt ihren rechten geschmack nicht haben. In dießer zeit gehen allezeit in den catholischen dörffern viel procession. Vergangen montag zwischen 6 undt 7 morgendts, wie ich eben ahnfing, ahn die königin von Sardaignen zu schreiben, hörte ich auff ein mahl ein gar groß gelachter; daß machte mich auffsehen undt fandt den gantzen vorhoff voller dorffleütte, die machten ein geschrey, wie schon gesagt, gar starck gelächter. Ich schickte einen cammer-knecht hin, zu sehen, waß so poßirlich wer, undt die andtwordt war, daß eine procession vom dorff 10 frantzoscher meyllen von hir ging ahn ein ort, so man Ste Julliene heist; solten andern tag erst wieder kommen. Dießer procession weg ist durch den gantzen gartten; daß wahren die, so nicht von der procession wahren, sehen kommen. Wie sie (ich will sagen die procession) in den gartten hinein, wurde der pfarher[r] oder monsieur le curé, wie mans hir im landt heist, gewahr, daß er seinen hudt vergeßen hatte, machte also die gantze procession still halten, umb seinen hudt zu hollen; daß hatte alle bauern so hertzlich zu lachen [gemacht], daß ich es biß in meiner cammer gehört. Es war auch in der that ein wenig possirlich. Man heist die processionen pour les bien[s] de la terre. Aber mir stehts nicht ahn, daß sie unterwegen schlaffen, ohne zweyffel alles durch einander; da kan bey jetzigen bößen undt desbeauchirten zeitten nichts [136] guts von kommen. Den ordinarie sauffen sie sich sterns-voll, den daß vielle gehen macht den armen leütten auch durst, undt gott weiß, wie es darnach hergeht, wen sie alle voll undt doll sein[1]. Alß[2] könt Ihr, liebe Louise, wie Ihr segt[3], zu Geißenheim sagen, wie in der ittallienschen commedie vom empereur dans la lune[4]: C’est tout comme icy, außer daß man hir keine masquerade macht undt niemandt sich weder in heyligen, noch jungfer Marien verkleydt. Die teütschen Catholischen seindt viel aberglaubischer undt einfältiger in der religion, alß man in Franckreich ist. Lateinisch gebler[5] ist nie schön undt mir sehr zuwieder. Der pöpel ist gar zu abergläubisch, umb daß es möglich sein könte, die albertetten[6] abzuschaffen, aber raisonable leütte lachen nur darüber undt bekümern sich nicht drumb. Etliche bischoffe haben solche poßen abschaffen wollen, aber nicht dazu gelangen können, der pöpel hatt sie steinigen wollen. Hir ist nichts gemeiners, alß die concerts mitt violons undt flutte doucen undt traversinen, so man auch flütte allemande[7] heist. Ich weiß nicht, waß ein frümeeßen[8] ist. Es muß doch ein feiner man sein, weillen er erkandtlich ist, welches bey den herrn geistlichen eben keine gar gemeine sache ist. Wie die englische humoren [sind], habe ich keine mühe, zu glauben, daß ein gutter Teütscher, wie graff von Degenfelt ist, nicht wider ins vatterlandt verlangt. Ich fürchte aber, daß es seiner gemahlin andt nach Englandt thun wirdt[9]. Ich bitte Eüch, liebe Louise, wen sie wirdt ahnkommen sein, mir zu berichten, wie es ihr in Teütschlandt ahnstehet. Ey, liebe Louise, wie macht Ihr mir da so ein recht [137] ungereimbt compliment, zu sagen, daß Ihr mir viel sachen sagt, woran mir nicht gelegen ist! Wist Ihr den nicht, daß ich gern alles hore, wie es in Teütschlandt zugeht, undt mich in alles interessire, waß Eüch undt die Ewerige betrifft? Derowegen beklage ich Eüch auch, unter pfaffen undt nonen zu wohnen; den es ist rar, unter dem zeüg raisonable leütte zu finden, seindt alle interessirt wie der teüffel undt haßen so erschrecklich andere religionen, daß sie meinen, sie verdinnen den himmel, wen sie ihnen alles übels undt leydts ahnthun, seindt dabey auch ordinarie erschrecklich ungerecht. Also die seindt woll zu beklagen, so mitt ihnen zu thun haben. Ich wünsche also, daß graff Degenfelt baldt kommen möge, damitt Ihr, liebe Louise, nichts mehr mitt ihnen mögt zu schaffen haben. Mein ringelgen ist woll nicht so viel dancken wehrt; bin von hertzen froh, daß es Eüch gefahlen hatt. Ich habe der fraw von Rotzenhaussen Ewern brieff geben; sie hatt auch gleich ahn die freüllen von Zoetern[10] geschrieben, welche aber beyde gar kranck sein; mogten woll ihre alte heütger[11] hir in Frankreich laßen. Sie seindt woll zu entschuldigen, daß sie Eüch nicht geantwort haben; sie haben dießen gantzen winter mort undt passion erlitten mitt ihrem proces, haben mich recht gejammert. Hiemitt ist Ewer liebes undt letztes schreiben vom 24 May, no 41, vollig beantwordt. Ich komme jetzt auff waß mir noch überig zu beantwortten ist von Ewerm lieben schreiben vom 21 May, no 40. Es ist nicht zu glauben, liebe Louise, daß es Ewerer niepcen zu Geissenheim gefahlen wirdt wie Eüch; den es ist in allen menschen naturlich, sein vatterlandt über alle andere orter von der welt zu lieben. Ich höre recht gern, liebe Louise, daß Eüch Geissenheim so woll bekompt. Nicht[s] ist gesunder, alß woll schlaffen undt es ist gewiß, daß die landt-lufft beßer schlaffen macht, alß die statt-lufft. Warumb, liebe Louise, solt Ihr mir nicht von Eüch sprechen? Darumb habe ich ja nur commerce mitt Eüch, liebe Louisse, umb zu wißen, wie es mitt Eüch stehet undt wie es Eüch gehet. Ich stehe auch allezeit frühe auff; wen ich wacker bin, kan ich nicht in bett bleiben. Monsieur Teray hatt mir ordonnirt, alle tag 8 stundt in meinem bett zu bleiben; ich gehe frühe nach bett, umb wider früh auffzustehen können. Gestern war [ich] umb ein viertel auff 10 in meinem bett, [138] eße umb 8 ein wenig zu nacht undt umb 9 ziehe ich mich auß, wo mirs möglich ist. Wie ich höre, so ist daß wetter bey Eüch eben wie hir. Printz Carl von Heßen hatt zeittung bekommen, daß der konig in Denemarck seine[n] impertinenten heüraht endtlich gar zu ehren bringen will undt seine metres gar zur königin will crönen laßen; daß ist ja gar zu abgeschmackt. Umb seine fraw schwester zu befriedigen, hatt er ihren deputat vermehrt undt sie solle einen aparten hoff halten in der statt, wo er I. L. ein eygen hauß dazu geben. Dießer printzessen verstandt wirdt sehr gerimbt; sie mußen[12] allen verstandt vor sich genohmen [haben], den dem könig, ihrem herrn bruder, hatt sie wenig gelaßen, wie auß allen seinen actionen erscheindt. Naredeyen hatt die Maintenon nicht gethan, aber woll gar viel boßheitten; also hatte sie eher der teüffel beseßen, alß l’esprit de vertige[13]. Ich weiß woll, daß der margraff von Berayt[14] ein großer volseüffer ist, hatt allezeit davor passirt; aber ob es auff die lenge gutt thun wirdt bey seinem hoben alter, daß wirdt man sehen. Cristallene gläßer müsten nicht viel sein, umb 100 thr zu kosten. Ich glaube nicht, daß die printzes von Wallis weiß, daß ihren herr bruder der schlag gerührt hatt[15]; ich spreche I. L. auch nicht davon. Ewer agathen-pressent hatt große freüden bey meinen enckeln verursachet, wie ich Eüch schon geschrieben, liebe Louisse! Sie haben aber genung ahn dießen agathen sachen, sie haben keinen popen-schranck[16]. Mein naß ist geschwindt wider heill worden[17], werde also nichts mehr davon sagen, alß daß ich nicht so delicat bin, daß mir die frey lufft jemahlen schaden könte. Ich habe Eüch schon verzehlt, wie ellendt ich meinen geburdts-tag zugebracht habe. Vor alle, alle gutte wünsche, so Ihr mir, liebe Louise, hirzu gethan, dancke ich Eüch sehr, undt wen ich in den vissitten, so ich thue, die stiegen steygen müste, könte ich es nicht außstehen, allein man tregt mich a chaisse a porteur alle stiegen nauff. Die kutschen auß- undt einzusteygen, bin ich so gewohnt, daß es mich nie müde macht. Hiemitt ist einer[18] 2 schreiben auch vollig beantwortet, liebe Louise! Ich komme jetzt auff Ewer erstes liebes schreiben vom 16 May, no 39. Der herr Runckel hatt mir keine schachteln mitt pflaster seyder Ewerer abweßenheit von Franckfort geschickt; in allem habe [139] ich nur die 2 entpfangen, so Ihr mir geschickt habt. Daß landt, wo Ihr nun seydt, muß fett sein, daß Ihr so schlime wegen gefunden. Ewere arme laquayen mögten woll kranck werden; den es ist noch zu kalt, umb daß das naß-werden nicht schaden solte. Die thier jammern mich recht, aber insonderheit hundt undt katzen; vögel jamern mich auch leicht. Aber nun ist es zeit, daß ich meine pausse machen; dießen nachmittag werde ich dießen brieff vollendts außschreiben.
Donnerstag, den 5 Juni, umb ein viertel auff 2 nachmittags.
Wir kommen jetzt eben von taffel undt ich setze mich jetzt daher, umb Eüch ferner zu antworten, liebe Louise! Wir wahren heütte morgen geblieben ahn, wie mich die arme thier jammern können, wen ich sie leyden sehe. Ich kan nicht begreiffen, wie man die frosche so ungern hören kan. Die churfürstin zu Pfaltz muß nicht ahn die frühlings-lust gewohnt sein, den sonsten wer ihr der fröschen gesang nicht so sehr zuwieder. Ich glaube aber, unter unß gerett, liebe Louise, daß ihr armer churfürst, so der beste herr von der welt war, keine vivacitet genung vor eine Ittallienerin[19] gehabt hatt undt daß die zeit ihr lang bey ihrem herrn geweßen, sie deßwegen die außrede von der froschen gesang genohmen, umb nicht mitt I. L. auffs landt zu fahren. Ich glaube, [daß] der churfürst sie woll attrapirt hatt, wen er bey ihr geblieben ist. Bensberg[20] kene ich gantz undt gar nicht. In welcher gegendt ist Bensberg gelegen? Ewer nachtigallen, liebe Louisen, so schön, alß sie auch singen mag, doch [nicht] beßer sein kan, alß die, so ich in meinem cabinet hir habe. Seyder etliche tag singt sie weniger, alß vorher; ich glaube, sie fengt ahn, sich zu maußen, undt daß sie deßwegen weniger [singt]. Aber ich habe in acht genohmen, daß alle nachtigallen hir im landt nicht die helffte so starck undt woll schlagen, alß bey unß[21]. Es ist viel, daß Ihr, liebe Louise, 6 nachttigallen habt behalten konnen, den es seindt keine vögel schwerer zu erziehen. Ich glaube leicht, daß daß arme freüllen von [140] Wittgenstein lieber mitt Eüch, liebe Louise, nach Geissenheim gereist were, alß bey einer frantzöschen pfarers-fraw zu bleiben. Daß erinert mich ahn die madame de Gregu, so zu Heydelberg war. Mein gott, wie ist mir die fraw so bludts-langweillig vorkommen! Wo ist sie endtlich hinkommen? Die junge gräffin von Wittgenstein muß doch ein gutt gemühte haben, so betrübt geweßen zu sein, wie Ihr, liebe Louise, weg gereist seydt. Daß ist in jetzigen zeitten woll gar rar, ein gutt gemühte bey jungen leütten zu finden; es ist zu verwundern, zu sehen, wie die junge leütte, mans- undt weibs-personnen, nun sein. Da bringt man mir ein paquet mitt teü[t]schen gazetten, aber keine schachtel mitt Nurnberger pflaster, undt auch ein brieff von madame Dangeau mitt einem vor ihre fraw schwester, die fürstin von Ussingen, so ich Eüch hirbey schicke. Von welchem hauß ist der jungen gräffin von Wittgenstein ihre fraw mutter undt auß welchen ursachen nembt Ihr Eüch so sehr ihrer ahn, liebe Louise? Hiemitt ist Ewer liebes erstes schreiben vollig beantwortet, werde vor dießmahl nichts mehr sagen, alß daß es heütte schon daß 3te mahl sein wirdt, daß ich mein paquet über Brüssel undt Bingen nach Geißenheim adressiren werde. Adieu, liebe Louise! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt habe Eüch recht lieb.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 5. Juni 1721 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 134–140
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1233.html
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Tintenfass