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Brief vom 21. November 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Gottfried Wilhelm von Leibniz


4.


[027]
Paris den 21 Nov. 1715.
Her Baron von Leibnitz. Ich Muß Es gemacht haben wie Monsieur jourdain In der Commedie (de la prose sans le cognoistre)[1], den Ich Erinere mich nicht, Etwaß geschrieben zu haben, so deß geringste Lob würdig ist, oder Ich müste selber nicht wißen, waß drin zu loben war. Waß [028] Ich vom großen faß gesagt, ist Ein heydelbergischer Einfall, aber wolte gott, welcher Er auch sein mag, daß unßere liebe Churfürstin S. Es hette leßen können; ihr Verlust solte mir woll alles fewer benehmen, so Ich noch In mir haben könte, den Ich spüre, daß die trawerigkeit gar dunkele aschen verursachet. Ich Muß gestehen, Ich kan mich dießes Verlust nicht getrösten; alle woche hatte Ich zwey mahl den trost, von I. L. S. liebe schreiben zu Entpfangen, undt keines war ohne artige undt ahngenehme sachen, so mich gantz lustig hilten In viellen verdrießlichen Zeitten; hette also deren mehr von Nöhten alß Nie, aber weillen Es unßer Herr gott nicht will, Muß man gedult Nehmen.[2] Ich fürchte aber: meine gedult ist von der art, wie Mons. de grillen Meinem Herr Vatter proponirte, wie Er I. G. S. nach vincene Ins gefangnuß brachte undt zu Ihm sagte: prenes patiance en Enrageant.[3] Mein sohn ist so accablirt mitt verdrießlichen affairen, daß Ich Ihn Nur Ein augenblick deß tags sehen kan. Man hatt Ihm daß Königreich In Einem ärgern undt abscheulichern standt zu regiren gelaßen, alß zu Erdencken ist, undt ob Er zwar nacht undt tag arbeydt, glaubt Er selber nicht, daß Er Etwaß Nützliches wirdt außrichten können vor 9 oder gar 10 gantzer Jahren; alle accademien hatt Er außgetheilt, aber die von den guhten Künsten hatt Er vor sich selber behalten, sein sinnen dadurch nach so verdrießlichen arbeytten wider zu Erquicken. Wen wißenschafft daß wahre himmelbrodt ist, wirdt Es viel hungerige Seelen geben, Ich selber fürchte, daß Ich mitt hunger leyden Müste, den Man kan nicht ungelehrter noch ingnorenter sein, alß Ich bin, ob Ich zwar teglich In mir selber suche mein gemühte zu beruhigen, aber Leutte wie Ich, so mitt Einem verdrießlichen Miltz behafft sein, den wirdt alle Mühe größer, undt Es macht In dem Menschen wie microscopen: Es vergrößert allen Verdruß undt macht die trawerigkeit lenger wehren. Mich deucht, daß Es schwer wirdt sein, Mittel zu finden, alle Menschen gesundt zu Erhalten, Man Müste den so viel remedien finden, alß leutte in der welt sein; den waß Einen gesundt macht bringt Einen andern umbs leben, weillen daß [029] Innerliche vom Menschen Eben so different alß die gesichter sein; undt weillen, wie wir sehen, Gottes ordnung von allen Zeitten her ist, zweyffle Ich, daß man Es Nie wirdt Endern können, aber Man mag woll mehr finden so zur gesundtheit dint, alß man bißher gefunden, den zu paris sehe Ich nicht, daß man waß anderß weiß alß aderlaßen, purgiren, clistiren, In Sauerbrunnen schicken undt Eßelsmilch Nehmen, sonsten hör undt sehe Ich nichts; noch Eins habe ich vergeßen, Nehmblich L’Emetique, so gar gemein ist,[4] aber mich deucht, daß bißher Man die Kunst noch nicht gefunden, lenger zu leben, noch vergnügter, fürchte, daß man noch lang Im Vorhoff sein wirdt; wen Man durch Mühe undt arbeydt könte glücklich werden, hette ich große hoffnung vor Meinen sohn, den Er ist gar nicht faull undt arbeydt mit lust, aber Es wirdt noch lang ahnstehen, Ehe Mein sohn ahn waß ahngenehmes wirdt dencken können wegen der Verwirrung deß gantzes Königreichs leyder. Ich regretire von hertzen den Ehrlichen undt gelehrten Herrn Homberg.[5] Er, Herr Leibnitz, bedarff Niemandts alß seine Eygene handt, sich bey Meinem sohn ahn zu Melden, Er könt Ihn mehr alß Er Meint, den seine reputation ist hoch hir zu paris gestiegen. Mein sohn Muß woll gedencken, daß Man Eines thun undt daß ander nicht unterlaßen könne, weillen Er, wie schon gesagt, sich der accademie des sciences allein ahnnehmen will. Er Muß auch woll begreiffen, daß Es nicht viel kost, den sonsten könte Er Es In itziger Zeit nicht unterfangen; nach der Zeit hatt mein sohn Eben so viel. Die nation hir ist schwer zu contentiren, sie folgen offt den Ersten so Ihnen waß vorbringt undt In den provintzen nach dem man Ihnen von paris schreibt, Insonderheit wen daß Pfaffen geschmeiß sich drin mischt. Waß Eygendtlich vorgeht, weiß Ich nicht, den Es ist mir so angst, daß Man glauben mögte, daß Mein sohn sich auch durch Weiber regiren lest, daß Ich umb seiner gemahlin undt dochtern daß exempel zu geben, sich In nichts zu Mischen, hab ich überlautt gesagt, daß Ich mich In nichts In der welt mischen will undt die ursach dabey, so ich schon oben gemelt, also informire ich mich von nichts. Mein sohn [030] hatt mir auch gesagt, daß Er seiner fraw und Elsten dochter gebetten, mein exempel zu folgen. Bißher hatt Es mich noch nicht gereuet, dieße resolution genohmen zu haben.[6] Der geistlichen hir geringste sorg ist, die wunder gottes zu Erkennen zu geben, der Meisten gott ist der mamon, wie In der Heylligen schrifft stehen. Mein sohn hatt, wie Ich schon gesagt, Eine solche große estime vor dem Herrn von Leibnitz, daß Ich versichert bin, daß Er seine Erinerungen gern undt woll auffnehmen würde, zweyffle auch nicht, daß, wo fern Mons. Remond meinen sohn gewißen waß Er Ihm geschickt,[7] daß Es meinem sohn In seiner Qual Eine Erleichterung wirdt geweßen sein; den geplagt zu sein, wie Er stündtlich ist, kan woll Eine Qual genandt werden. Ich halte, daß der Herr von Imhoff Nun wider zu Braunsweig oder Wolffenbüttel ist. Ich bin sehr verobligirt, sich vor Meine gesundtheit zu interessiren, sie ist Nun gott lob so gutt, alß Ein alt weib In meinem altweib Es hoffen kan, Es ist Ein frantzösch sprichwort so sagt: on peut garantir [sic!] de mal, mais pas de la peur[8], so geht mirs auch waß meinen sohn betrifft. Zu rouen, dijon undt andere orter mehr haben die jessuwitter ahngefangen, offendtlich gegen meinen sohn zu predigen, die hir sein sagen, Es seye nicht, ob Es zwar die proces verbeau Es [sic!] confirmiren. Bey dießen sachen, Muß Ich gestehen, kan mir nicht woll sein, wen Ich ahn Henry 3 undt Henry 4 historien gedencke. Mein sohns gesundtheit ist zwar gutt, aber waß Ich fürchte ist ärger alß Eine Kranckheit. Gott gebe, daß der Keyßer den Krieg mitt den Türcken ahnfangen möge, undt Ich singe gern, wie Im opera von Thesée gesungen wirdt: que la guerre sanglante passe en dauttres Estats.[9] Wen Ich dem danischen Envoye, dem Herrn von Wernicke[10], glauben will, wirdt der Nordische Krieg baldt Ein Endt Nehmen; die schweden aber wollens nicht gestehen, Es wirdt sich aber baldt außweyßen, wer recht hatt. Ich glaube, unßer König gorgen wirdt so viel In Engellandt zu thun bekommen, daß Er woll ahn keine andere Kriege wirdt dencken können. Der chevallier de St. george[11] hatt sich mitt Einem [031] Camerdiner undt feltscherer von Cemmersi[12] salvirt undt soll ambarquirt sein; kompt Er glücklich nach schottlandt, wirdt König görgen Nur zu viel zu thun bekommen, unterdeßen haben die Englander von beyden partheyen jeden König assassiniren wollen, welches Ich abscheulich finde undt mir Einen rechten Eckel vor dieße nation gibt.[13] Die alte dame[14] ist nicht zu Made de Bery kommen, auch nicht auß Ihrem St. Cire, aber wie Man sagt so vergeht die betrübtnuß undt man tröst sich mitt kleinen gastereyen mitt gutten freunden, soll ahn Königs geweßenen Dockter geschrieben haben, sie hette In der ruhe undt Einsambkeit Ihren magen wider funden, so sie bey hoff verlohren hette, den sie könte jetzt wider zu nacht Eßen. Ich habe alß geglaubt, daß die avanture mitt den schmitt [?] Eine ahngelegte sach von dießer damen geweßen. Man kan nicht artificieusse sein, alß sie ist. Ich schetzte König görgen glückseeliger [als] Churfürst undt zu hannover alß [wie als] König Im Engellandt undt zu St. james. Die printzes von wallis, so mir die Ehre zimblich fleißig zu schreiben [giebt], ist sehr courageus undt förcht nicht; gott gebe, daß Es Ein pressentiement sein möge, daß Ihr nichts übels widerfahren mag.[15]
Mons, d’Harling hatt mir raisons historie undt todt geschrieben[16]; vor so philosophisch hette Ich Ihn mein leben nicht ahngesehen. In Engellandt sollen solche tödt gar gemein sein; unßer Königin In Engellandt hir hatt mir verzehlt, daß, so lang sie In Engellandt geweßen, seye keine woch vorbey gangen, worinnen sie nicht Erfahren, daß 4 oder 5 menschen sie [= sich] selber umbß leben gebracht haben, Erschoßen, Ersäufft oder gehenckt haben; solche Leutte seindt abscheulich gefährlich, den wer vor sein Eygen leben nicht sorgt, dem ist leicht, Einem andern daß leben zu Nehmen. Solche leutte solte Man alle gegen dem Türcken schicken undt die Länder davon purgiren. Hiemitt habe ich, so viel mir möglich geweßen, auff alles exact geantworttet, dem Herrn Leibnitz zu Erweißen, daß sein schreiben mir sehr ahngenehm geweßen, Ich habe Es mehr alß Einmahl mit lust überleßen, undt bitte den Herrn Leibnitz, zu glauben, [032] daß Ich mit aller Estime allezeit seine gutte freundin verbleiben werde.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 21. November 1715 von Elisabeth Charlotte an Gottfried W. v. Leibniz
in: Briefwechsel zwischen Leibniz …, Hrsg. E. Bodemann (1884), S. 27–32
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d11b0004.html
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