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Brief vom 16. April 1722

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1320.


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A madame Louise, raugraffin zu Pfaltz, a Franckforth.

Paris den donnerstag, 16 April 1722 (N. 82).
Hertzallerliebe Louise, gestern abendts, alß ich mitt unßerer gutten hertzogin von Hannover auß der comedie kam umb ein viertel auff 9 abendts, bin ich mitt Ewer liebes schreiben vom 7 dießes monts erfrewet worden, no 26, worauff ich hirmitt gleich andtwordten werde. Die post will unß weißen, liebe Louise, wie es pure boßheit undt muthwillen undt boßheit ist, wen sie nicht richtig gehet, undt daß sie, wen sie wollen, gar baldt überkompt. Ich bin doch froh, daß Ihr secht, liebe Louise, daß ich exact mein wordt halte undt nie keine post verfehle, wie ich es versprochen habe. Junge leütte in dießen zeitten dencken in der welt nur ahn 2 stück, ahn desbauchiren undt interesse. Das erste matt sie ab undt daß zweyte macht sie nachdenckisch; den sie gedencken nur, auff allerhandt weiß undt wegen gelt zu bekommen. Daß macht junge leütte jetzt so ernstlich undt nach meinem sin gantz unahngenehm. Undt[1] einen artigen undt lustigen geist zu haben, muß man einen ruhigen geist haben ohne sorgen, so nur gedencken kan, wie er sich mitt ehren lustig machen kan in ehrlicher geselschafft, undt von dießen gedancken ist man jetzunder sehr weit; sie werden abbruttirt[2] durch dieße zwey laster, wovon ich alleweill gesprochen. Sie wollen weder wißen, noch folgen, wie man vor dießem gelebt, undt sehen nicht, daß ihre neüe maniren weder vor gott, noch vor der welt [371] nichts deügen[3]. Aber einer verführt den andern, insonderheit wen man sicht, daß die große herrn so doll leben führen undt sich mitt allerhandt canaille so gemein [machen]; daß verdirbt alles undt gibt lautter böße inclinationen. Daß ein jedes qual undt sorgen hatt, ist leyder nur zu wahr. Gestern habe ich woll recht betrübte leütte gesehen, so mich hertzlich jammern, nehmblich madame la princesse undt ihre encklin, die junge printzes de Conti, welche einen protzes gegen ihren eygenen herrn ahnfangen muß. Er will sie mitt aller gewalt wider haben undt er hatt sie so abscheülich tractirt, daß sie mitt aller gewalt von ihm will geschieden sein. Daß macht einen greülichen lermen, wie man leicht gedenken kan. Biß montag solle der protzes ahngehen, daß betrübt alles[4]. Ich fürcht, zu sehen, wie sichs madame la printzes zu hertzen zicht, daß sie ihr leben dabey einbüßen wirdt; den beyde, man undt fraw, seindt ihr so nahe eines alß [das] ander; der printz de Conti ist ihrer fraw dochter sohn undt die printzes de Conti, seine gemahlin, ist ihres geweßenen sohns dochter, seindt also beyde ihre enckeln, kan also keine partie in dießem protzes nehmen. Kein eintziges von beyden will ihr gehorchen, hatt also nichts, alß chagrin, auff allen seyden. Sie ist woll recht unglücklich mitt ihren kindern undt kindtskindern. 2 von madame la duchesse ihren dochtern wollen gegen ihren willen mitt aller gewahlt nonen werden. Deren, so zu Thur[5] im closter ist, ist eine gar wunderliche avanture begegnet. Ein junger prister, so in dem closter diacre[6] wahr undt woll studirt hatte, hatt man befohlen, der printzes de Vermandois (so heist sie) Lateinisch zu lehren; sie solle gar schön sein. Der arme teüffel ist so sterbens-verliebt von dießer printzes geworden, dar[7] er drüber zum narren worden undt ihr viel verliebte brieff geschrieben undt ahn madame la duchesse, ihre fraw mutter, geschrieben undt sie zur ehe begehrt. Die abtißin hatt der junge[n] [372] printzes die verliebte bri[e]ff nicht weißen wollen, hatt sie alle zusamen genohmen undt dem beichts-vatter vom closter geben, sie dem narren wider zu geben mitt verbott, sein leben wider ins closter, noch in deß closter nahe zu kommen. Der beichts-vatter trifft dießen narrn unterwegens ahn, thut seine commission; der sagt: Non, ce n’est ny la princesse ny l’abbesse qui t’envoy icy, c’est toy mesme qui est devenue mon rival; il est permis de tüer son rival, nimbt eine pistol undt schiest den armen beichts-vatter vor den kopff, daß er mauß-todt dahin felt. Er hatt sich gleich fangen laßen, meint, eine schönne that gethan zu haben. Man balancirt nun, waß man mitt dem ahnfangen will, den er meritirt gerähtert zu werden; allein wie er gantz närisch ist, steht man [an, ob man ihn] nicht alß einen narren einsperren solle[8]. [Diese] avanture quelt madame la princesse auch, madame la duchesse aber lacht nur drüber, sagt, sie könne sich nicht betrüben, daß ein narr eine naredey begeht; so hatt ein jedes seinen humor. Ich komme aber wider auff Ewer liebes schreiben. Ich habe allezeit woll gedacht, daß alle die schomburgische sachen Eüch mehr chagrin, alß vergnügen, geben würden. Der arme monsieur le Fevre ist noch gar übel ahn seiner parallisie[9], arbeydt doch immer mitt monsieur le Roy, meinen advocatten, vor Ewere niepcen; den er hatt den verstandt so gutt alß nie. Aber die docktor[e]n sagen, er müste absolutte in ein warm badt; daß betrübt ihn über die maßen, jammert mich woll von hertzen. Man hört undt sicht nichts, alß betrübte sachen; daß macht trawerig. Bin fro, übermorgen nach St Clou zu gehen, nichts mehr zu hören, noch zu sehen. Ich laße meinen sohn, gott lob, in gutter gesundtheit, gehe also getrost fort. Ihr werdet biß sambstag nur ein gar klein brieffgen von mir bekommen können, den ich werde zu St Clou zu mittag eßen. Ich glaub nicht, daß es eine gar divertissante sache wirdt vor Ewere niepce geweßen sein, protzessachen zu hören; ich finde nichts langweilligers. Aber spatziren zu fahren undt daß landt zu sehen, daß ist ahngenehm, aber in einem hauß bey einer alten rahtsherrin zu sitzen, regnen zu sehen, daß ist, wie daß arme Paulgen alß sagte, gar eine mittelmaßige freüde. Caffé drincken were auch meine sache [nicht], [373] finde nichts widerlichers in der welt; daß oder eine medecin were mir eins wie daß ander. Waß ist daß geleydt[10] von der meß? Da habe ich mein leben nichts von gehört, liebe Louisse! Arbeytten were mein[e] sache gar nicht, wolte lieber leßen. Apropo von der meß, ich habe gedacht, wen Eüch die Jüdin den papegay von perlen laßen wolte, umb mir zu schicken, so konte sie ja ihren zettel ahn einen Juder[11] von Strasburg adressiren, dem ich die bezahlung überlieffern konte, den es seyndt viel dort, die ich kene. Heütte werde ich von unßer infantin undt ihrem jungen könig abschiedt nehmen, auch von unßer abtißin[12], so hir im Val-de-Grace ist, umb eine abtißin helffen einzusegnen. Es scheindt, alß wens regnen wolle; daß were mir nicht leydt, den ich hoffe, daß diß den kalten nordtwindt verdreiben solle, so sey[der] 3 tagen gar scharpff geht undt ahn alle menschen husten undt schnupen gibt. Die arme fraw von Rotzenhaussen undt die alte marechalle de Clerembeau[13] seindt starck dran fest. Ich hoffe aber, daß die gutte luft von St Clou sie beyde couriren wirdt; doch ist solches noch mehr vor die fraw von Rotzenhaussen zu hoffen, alß die arme mar[s]chalckin, so 87 jahr undt 5 monat alt ist. Artige kindter, wie Ihr Ewern petit neveu beschreibt, machen lust zu, aber wen die zahnger kommen, ist es ein ellendt undt treiben einem manche ängsten ein. Madame Dangeau wirdt gewiß im ende deß Mayen nach Dornick[14] undt meint, ihr herrn brüder dort zu finden, wie auch ihre fraw schwester, die fürstin von Ussingen. Die königin von Sardaignen admirirt ihre fraw schwigerdochter so über die maßen, daß mir bang dabey wirdt, daß es nicht dauern solle[15]; den so große vergnügungen dauern ordinarie nicht, es kompt alß waß unvermuhtens dazwischen, so alles verdirbt. Sie solle sehr woll erzogen sein undt woll zu leben wißen. Daß nimbt mich wunder, den mich deucht, daß man ordinarie in stifftern keine gutte erziehung hatt; aber bey dießer pfaltzgraffin hatt es geglückt, welches auch recht erfreüdt, den unßere liebe, gutte, ehrliche konigin von Sardaignen hatt so manche jahren gelitten, daß es woll billig ist, daß ihr unßer lieber herrgott ein wenig vergnügen schickt. Die mütter, so ihre sohn so [374] hertzlich lieben undt nicht wider geliebt werden, jammern mich; den daß muß sehr schmertzhafft sein. Mein sohn lebt, gott lob, gar woll mitt mir, bin sehr content von ihm. Docktor Bruner[16] muß gar ein gelehrter undt gutter docktor sein. Die waßersucht zu couriren, daß ist gar schwer. Gar großen verstandt hatt graff Carl von Naßau-Weillburch auch nicht, es muß sich bey ihm muttern. Ich weiß noch viel lutherische lieder undt auch Lobwaßers[17] psalmen, singe sie ordinarie in der kutsch[18]. Wen man von lautter todt, sterben undt moraliteten singt, wie kan die melodey den lustig sein? Daran, liebe Louise, ist nicht zu gedencken, daß man sich in jener welt sehen, noch kenen kan; den die unglücklich sein, werden nur ahn ihre qual gedencken, undt die glücklich undt seelig sein, werden nur, wie ich glaube, occupirt sein, ihren gott zu dancken undt zu loben, undt man sich nicht einmahl kenen wirdt[19]. Es ist war, daß so offt jüngere, alß altere, sterben, aber ein jedes hatt seine gezehlte stundt, die überschreydt man woll nicht, liebe Louise! Hiemitt ist Ewer liebes schreiben völlig beantwortet; ich muß mich ahnziehen. Adieu, liebe Louise, biß übermorgen, da ich Eüch wider schreiben werde undt versichern, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte!
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 16. April 1722 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 6 (1881), S. 370–374
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d06b1320.html
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