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Brief vom 8. Oktober 1715

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


732.


[642]
Paris den 8 October 1715.
Hertzallerliebe Louise, ich war schon willens, Eüch vergangenen freytag zu schreiben, habe aber ohnmöglich dazu gelangen können. Vergangenen sambstag habe ich Ewer liebes schreiben vom 30/19 September zu recht [empfangen]. Gott gebe, daß ich heütte drauff werde antwortten können! den den gantzen morgen habe ich schon hundert verhindernüße gehabt. Paris ist in allen stücken der verdrießlichste ort von der welt; es ist kein dorff, wo es auch sein mögte, wo ich nicht lieber sein wolte, alß in dießer statt; erstlich so habe ich alle tag, die gott gibt, kopffwehe undt muß alle stunden thun, waß ich nicht gern thue. Aber ich will nicht lamantiren, daß ist zu langweillig. Ich komme auff Ewer liebes schreiben. Ich bin fro, daß mein schreiben nicht verlohren worden undt Ihr sie doch endtlich alle entpfangt, liebe Louise! Mein husten ist schir gantz vergangen, aber mein kopffwehe muß ich suchen zu behalten, so lang ich in Paris sein werde, ein wenig mehr oder minder, aber doch genung, umb es zu fühlen. Ich habe mein leben die Parisser lufft nicht leyden können, noch in 44 jahr[e]n gewohnen; aber mich deücht, ich habe es schon offt gesagt, wilß also nicht repetiren. Hir muß ich woll bleiben dießen winter. Im anfang habe ich nicht nach St Clou gekönt, weillen die duchesse de Berry dort war, mitt welcher ich (unter unß) gar nichts zu thun will haben. Wir simpatissiren gar nicht mitt einander; ich lebe höfflich mitt ihr, wie mitt einer bludtsfrembten menschen, besuche sie aber nicht offt, noch mische mich in nichts, waß sie ahngeht, noch ihre fraw mutter, noch ihre schwestern. Ich bekümere mich umb nichts, alß mich selber. Es würde etwaß ridiculles sein, wen ich jetzt nach St Clou solte, da der junge könig herkommen wirdt. Die höffe seindt hir nicht, wie bey unß, auch nicht wie zu Monsieur s. zeitten, da wir alle mitt einander aßen undt unß alle abendten mitt einander ins große apartement versambletten; jedes ist apart hir, ich speiße allein, mein sohn undt seine gemahlin allein. Sie ist so [643] faul[1], daß sie sich nicht resolviren kan, ein augenblick ein leibstück ahnzuthun, ligt allezeit in einer escharpen auff einen loderbett, will niemandts sehen, alß die, so sein wie sie; ich aber halte meine ordinarie, bin recht ahngethan en grand habit undt leyde niemandts, alß die auch ahngethan sein. Madame de Berry im Luxembourg folgt ihrer mutter exempel.[2] Also segt Ihr woll, liebe Louisse, daß kein rechter hoff nirgendts sein kan. Ach, liebe Louisse, Ihr kendt die Frantzoßen nicht; so lang sie hoffnung zu waß haben, ist alles admirabel, bekompt aber einer, waß 50 pretendiren, hatt man gleich 49 feindt, die gegen einem caballiren undt den teüffel ahnmachen.[3] Ich kene den hoff undt die statt zu woll, umb mich ein augenblick zu erfreuen haben können, daß mein sohn regent ist. Vor alle gutte wünsche, so Ihr ihm thut, dancke ich Eüch von hertzen; aber ich fürchte, mein sohn wirdt eine große kranckheit bekommen. Man hatt ihm mal a propo zur ader gelaßen; ich habe mich zwar dawider gesetzt, wie ich aber gesehen, daß man mir nicht glaubt, habe ich geschwigen undt mich nicht mehr dawider gesetzt. Itzunder gerewet es meinem sohn, ist aber nun zu spät. Seyder sein[e]r aderläß hatt er kopffwehe, husten, schnupen undt flüße, welche mich recht angst machen. Ich weiß nicht, waß mein sohn gethan, so dem könig in Engellandt gefahlen[4]; den Ihr müst wißen, liebe, daß ich mich in nichts mische. Mein sohn sicht mich selten, undt wen er mich sicht, spricht er mir nichts von affairen, nur von der querelle von monsieur le duc undt dem duc du Maine, sonsten von gar nichts. Ich habe Eüch doch mein wordt gehalten undt gar heimblich vor die arme leütte in den galleren solicitirt[5], [644] habe auch versprechung, aber sagts keinen menschen nicht, liebe Louise! Wen nur der gewißensraht mir nicht verderbt! Kein Engländer kan sein leben so interessirt sein, alß alle Frantzoßen sein, außer madame de Chasteautier[6], die ist daß widerspiel von allen interessen; sie geht hirin zu weit auß forcht, den verdacht zu haben, wie andere zu sein. Ich bitte Eüch, schreibt mir doch, waß mein sohn vor den könig in Engellandt gethan hatt! den ich weiß es warhafftig nicht. Es ist gewiß, daß, so lang ich in Teütschlandt geweßen, habe ich solche wüsterreyen nicht gesehen, alß hir; aber in Teütschlandt wirdt nicht alles gekauft undt verkauft, wie hir, daß macht die leütte zu interessirt. Wie kan man einen herrn hir lieben, den man 9 mont ist ohne zu sehen undt nur 3 monat dint undt bey welchem man nur sein gelt gelegt, umb drauf zu profitiren. Ich wünsche, daß I. L. die printzes von Wallis noch content von dießem zweytten brieff, so ich I. L. heütte geschrieben, sein mögen. Nichts macht matter, alß lang in der cammer bleiben, ohne in die lufft zu gehen. Mylord Stairs hatt mir vergangenen sontag der printzessin briff bracht, Ewern aber habe ich den tag vorher durch die post entpfangen. Mir ist dran gelegen, liebe Louisse, daß Ihr in volkommener gesundtheit seydt, den ich interessire mich in alles, waß Eüch betrifft. Zeitverdreib habe ich hir gantz undt gar nichts undt kein ander exercisse, alß etlichmahl nauß in die frische lufft zu fahren undt wider herrein. Mitt der lust gehts bey mir wie der fraw von Rotzenhaussen sprichwort: Es geht klein her, wie der wolff sprach, so schnacken fraß, undt umb die rechte warheit zu sagen, so weiß ich nicht mehr, waß lust undt zeitverdreib ist; will ich[7] mein gantzes leben hir verzehlen.[8] Die tag, so ich viel zu schreiben hab, stehe ich umb 7 auff, thue, waß ich zu thun habe, werde umb halb 9 fertig, gehe in mein cabinet undt fang ahn zu schreiben. Von 9 biß 12 kommen allezeit leütte, umb 12 gehe ich in die capel, umb 1 eße ich; weillen ich gantz allein bin, bleib ich nicht lenger, alß eine halbe stundt, ahn taffel. Hernach gehe ich ein stündtgen in mein cabinet undt ruhe, hernach schreibe ich noch ein wenig, meine damen kommen wider undt arbeytten bey mir, etlich spinen, andere arbeytten sonst. Umb 3 fahre ich auß, umb 5 komme ich wider, alßdan kommen meine [645] leütte, umb 6 allerhandt leütte, damen undt cavallier, die muß man entreteniren undt daß ist eine rechte qual, die wehrt biß umb 9, daß ich zu nacht eße. Mein sohn kompt nur einmahl deß tags zu mir, entweder morgendts, ehe ich in kirch gehe, oder abendt ein virtelstundt vor dem nachteßen, sonst sehe ich ihn nicht. Abendts kompt offt seine gemahlin mitt ihrer dochter, mademoiselle de Valois, die bleiben ein stündtgen dar, gehen hernach nach hauß. Nach dem eßen ziehe ich mich gleich auß undt gehe nach bett, schlaffe aber gar wenig. In dießem allen glaube ich nicht, daß Ihr finden werdt, daß ich mich zu woll divertire undt zu große lust habe. Waß auß meinem bludt werden wirdt, mag gott wißen; ich bekümere mich wenig drumb, den ich werde, wen ich in jene welt gehe, nichts in dießer regrettiren. Dießen frühling, wo mir gott daß leben lest, werde ich nach St Clou undt lang dort bleiben undt mich von der hießigen fatigue undt langeweill ein wenig außruhen. Mein lustiger humor, so mich vor dießem alles leicht machte, ist mir greüllich hir im landt vergangen. Wer es in dießem landt nicht verliehrt, wirdt es ewig behalten. Die Rotzenheüssern die ist noch immer lustiger, alß nie; aber sie geht ordinari 6 mont wider in Teütschlandt, da vergist sie den frantzöschen verdruß. Sie ist noch hir, wirdt aber weg, wen die kalte kommen wirdt; sie sitzt da undt blaudert lustig in gelag hinein. Ich habe allezeit gehört, daß abscheülliche desbeauchen in Engellandt vorgehen; aber zu Paris macht mans nicht beßer, alß zu Sousdreck[9], undt man hört überall eckelhaffte sachen genung. Ihr gebt mir gutte opinion vom herrn von Degenfelt, daß er, so jung er auch ist, vor solchen desbauchen geeckelt hatt. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwordtet, bleibt mir nur überig, zu versichern, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte, so lang ich lebe.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 8. Oktober 1715 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 2 (1871), S. 642–645
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d02b0732.html
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