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Brief vom 30. Oktober 1720

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1170.


[315]
St Clou den 30 October 1720 (N. 39).
Hertzallerliebe Louise, ich fange heütte ahn, ahn Eüch zu schreiben, weillen ich morgen gar wenig zeit dazu haben werde, zu schreiben; den es ist mein vorbereyttungstag, den ich werde übermorgen zum h. abendtmahl gehen, ob gott will, also morgen gar [316] wenig schreiben können. Ich bin, gott lob, außer sorgen vor Eüch, liebe Louise! Den vergangen sontag, wie ich zu Paris war undt eben zu madame d’Orléans ging, brachte man mir 3 von Ewern lieb[en] schreiben auff einmahl mitt den 2 kupfferstücken vom czaar[1] undt printz Eugenius, wofor ich Eüch sehr dancke, liebe Louise! Daß vom czaar gleicht woll, aber in alt; wie er hir war, sahe er viel jünger auß. Printz Eugene hette ich woll in dem contrefait nicht gekandt, den wie er hir war, hatte er eine kurtze auffgestutzte naß[2], undt in dem kupfferstück macht man ihm eine lange spitze naß; er hatte die naß so auffgestutzt, daß er den mundt immer offen hatte, undt die 2 große forderste zähn sahe man gantz bloß. Ich kene ihn gar woll, habe ihn offt geplagt, wie er noch ein kindt; da hatt man gewolt, daß er geistlich werden solte, war wie ein abbé gekleydt. Ich habe ihn doch allezeit versichert, daß er es nicht bleiben würde, wie auch geschehen. Wie er den geistlichen habit quittirte, hießen ihn die jungen leütte nur madame Simone undt madame Cansiene; den man pretentirte, daß er offt bey den jungen leütten die dame agirte. Da segt Ihr woll, liebe Louise, daß ich den prince Eugene gar woll kene; ich habe seine gantze famille gekandt, herr vatter, fraw mutter, brüder, schwestern, oncle undt tanten, ist mir also gantz undt gar nicht unbekandt, aber eine lange spitze naße kan er ohnmöglich bekomen haben[3]. Madame la duchesse d’Orléans sagt, seine zähn wehren ihm vielleicht außgefahlen undt daß diß die stumpffe naß herundergezogen hette; ich weiß nicht, ob daß sein kan. Die ursach, so mich vergangenen sontag nach Paris geführt, lieff unglücklich ab, wie Ihr hören werdet. Wie ich vergangen jahr den ersten stein zu der kirch gelegt[4], so hatt man mich dieß jahr zu der einweyung dießer kirch geladen, so, es wirdt morgen 8 tag werden, gehalten worden. Weillen ich aber weiß, daß dieße ceremonie 7 gantzer stundt werdt[5], habe ich mich deßwegen entschuldiget. Wie aber dießes fest 8 tag wehret, habe ich der abtißin versprochen, ein tag in der octave hinzugehen, welches ich den den vergangen sontag gethan undt eine große meß dort gehört, so ihr curé de St Nicolas du Chardoneret dort mitt [317] seinem gantzen seminaire in großen ceremonien dort celebrirt; haben woll gesungen. Es hatt in allem nur eine stundt gewehrt. Wie ich aber wider auß den chor von den nonen gangen, wo 6 oder 7 staffelen sein, hatt die arme abdißen, so gar ein groß weib ist, auffs wenigst so groß ist, alß Ewer fraw mutter, die fraw raugräffin, war, die zweytte staffel verfehlt (den sie hatt ein blödt gesicht), ist von oben biß nunder gefahlen. Ich bin recht erschrocken, meinte, daß sie den halß gebrochen hette. Wie man sie auffgehoben, hatt sie erschrecklich gehuncken[6] undt nicht ohne ursach; den sie hatt einen knochen ahm fuß verrengt undt ein nerf ahm bein tressallirt[7]. Mein schrecken hatt mich, gott lob, daß lachen verhindert; aber ich muß gestehen, daß, wie ich seyder dem dran gedacht, wie dieß lange weiße gespenst (den die gutte abtißin sicht ein wenig so auß) so hinder mir daher plotzen[8], so habe ich doch innerlich lachen müßen; den ich kan ohnmöglich daß lachen halten, wen jemandts fält; wen ich selber falle, muß ich lachen[9]. Es ist aber auch einmahl zeit, daß ich meine pausse machen. Nach dem eßen werde ich auff Ewere liebe schreiben andtwortten, liebe Louisse, aber nur auff ein par wordt, eines vor sambstag sparen, wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet. Es wirdt daß mittelste sein, so ich sparen werde vor die andere woch, wo mir gott leben undt gesundtheit verleyet.
Mittwog umb 3 uhr nachmittags.
Da komme ich von taffel undt es schläffert mich erschrecklich; ich glaube, ich werde ein wenig schlumern müßen. Ich bin gestern gar spät schlaffen gangen vor mich[10]; den ich bin gar offt vor 10 in mein bett undt gestern habe ich nicht vor halb 12 zu bett gehen können; den ich hatte ahn die printzes von Wallis undt meine dochter zu schreiben. Da habe ich ein wenig geschlaffen undt 2 briffe geleßen, einen von unßer lieben printzes von Wallis undt einen von dem gutten monsieur Harling. Nun ist es auch woll einmahl zeit, daß ich auff Ewere liebe schreiben komme. Ich fange bey dem frischten ahn, nehmblich vom 19 October, no 82. Ich bin fro, daß meine schreiben auch nicht verlohren gangen; aber mich [318] verlangt, zu vernehmen, daß Ihr mein port[e-]lettre entpfangen möget, umb zu wißen, ob es Eüch gefallen, welches ich sehr wünsche. Ich werde nichts mehr von grünen safft sagen; den ich habe Euch, liebe Louise, lengst bericht, wie es abgeloffen, drumb werde ich nichts mehr davon sagen. Meine gesundtheit ist, gott lob, gutt. Wen ich waß einnehme, muß man gar gewiß glauben, daß es monsieur Teray seine ordonance ist; den von mir selber könte ich mich nicht dazu resolviren. Aber nun leütt man ins gebett; nach dem gebett werde ich Eüch, liebe Louise, wieder entreteniren. Es ist ein viertel auff 7 geschlagen undt ich komme wieder auß der capel, werde gewiß nicht auffhör[e]n zu schreiben, biß ich Ewern lieben brieff durchauß werde beandtwortet haben. Ich weiß nicht, wie viel printzen von Sultzbach sein, habe also[11] nicht errahten können, ob der, so wir hir gehabt haben, der ist, welcher zu Franckfort geweßen. Warumb kan der elste nicht nach Franckforth? helt ihn die jalousie ab? Den ich habe gehört, daß er das unglück hatt, sehr mitt dießer bößen kranckheit behafft zu sein. Man thut gar übel, daß kleine pfaltzische printzgen in dießer jahrszeit auß Heydelberg geführt zu haben; den Heydelberg ist warmer undt gesunder, alß Schwetzingen, insonderheit im wintter. Waß mich hatte hoffen machen, daß es den Pfaltzern jetzt beßer gehen würde, ist, daß mir baron Görtz von Hannover geschrieben hatte, daß der könig von Englandt undt der von Preussen ernstliche resolutionen gefast haben, den armen Pfältzern beyzustehen. Es ist eine rechte schande, daß Churpfaltz Eüch so übel bezahlt. Der cammerpressident muß ein unhofflicher schlüngel sein, Eüch nicht einmahl zu antwortten. Wie heist der feine, hoffliche? Wen ich den secretarius von Grevenbroch sehen, will ich ihn fragen, wie er heist, undt ihm meine meinung dichte sagen. Ich weiß woll, daß es leyder zu nichts nicht helffen wirdt; allein ich werde doch mir daß hertz dadurch erleichtern. Daß ich jetzt ein langweilliges leben führe undt schir allezeit in angsten bin, undt woll mitt ursach … Waß mich ahm meisten ängstiget, liebe Louise, ist, daß, ob man zwar daß papir abgeschafft undt [man] nun überall wider silbergelt sicht, so besamfft[12] sich doch Paris nicht, seindt doller, alß nie. Daß macht mich fürchten, daß böße leütte hirin arbeytten, undt daß gibt mir [319] trawerige gedancken, wie Ihr leicht gedencken könt, liebe Louise! Sie zweyfflen hir nicht, daß ein gott seye, aber woll, daß er sich umb unß bekümert, noch darnach fragt, waß wir auch thun mögen, undt glauben, daß kein ander welt seye undt weder straff noch belohnung in jener welt seye. Daß macht so gottloß leben; umb daß gewißen zu fühlen, müsten sie persuadirt sein, daß straff undt recompens wehre, aber daß glauben sie, wie schon gesagt, gantz undt gar nicht. Ich bin woll Ewr[e]r meinung, liebe Louise, daß man sagen kan: Wehe denen, so also sein! Es were ihnen beßer, wen sie nie gebohren wehren[13]. Der haß, so der pöpel gegen monsieur Laws hatt, ist nicht außzusprechen; sie haßen monsieur le duc, weillen er sein freündt ist, ruff[en] ihm alle tag hundert flüch zu undt seinen zwey brüder auch[14]. Die printzes von Wallis sagt, daß alles wider gutt mitt der soudsée[15], alles wider gantz gutt sein. Man hatt hir gesagt, der directeur von der banque in Englandt[16] were vom volck assassinirt worden; aber es ist nicht war. Aber, liebe Louise, wie könt Ihr es außstehen, nichts von Churpfaltz zu bekommen undt die gräffin von Wittgenstein 3 mont im hauß zu haben? Glaube, daß sie über Ewern beüttel noch weniger apropo kompt, alß wegen deß[17] posttage. Post[t]age kommen offter wider, alß gelt. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwordt. Es war nicht der geringste fehler in Eüeren schreiben. Gutte nacht biß morgen, liebe Louisse, da ich Eüch ferner entreteniren werde!
Donnerstag, den 31 October 1720.
Heütte habe schon viel sachen gethan. Erstlich habe ich meine vorbereytung ahngefangen, so mich von sie[ben] biß halb 10 geführt, liebe Louisse! Hernach habe ich ahn den oberstallmeister Harling 5 seytten geschrieben. Ich habe nur noch eine gutte 1/4 stundt zeit, ehe ich mich ahnziehen gehe. Daß werde ich employiren, Eüch, liebe Louisse, zu entreteniren, undt dießen abendt nach der beicht undt doppelte vesper werde ich außschreiben; also wirdt mein brieff von dießer post nicht zu kurtz werden. Daß lengste von Ewern 3 lieben schreiben werde ich biß sambstag versparen undt heütte noch [320] auff [das] vom 15, no 81, andtwortten, so viel mir möglich wirdt sein können. Die post hatt die naredey, Eüch meine schreiben allezeit zwey undt zwey auff einmahl zu geben. Wen sie nur nicht auch bey mir die mode continuiren, 3 undt 3 auff einmahl zu bringen, wie sie letztmahl gethan haben! Daß die posten so gar übel gehen, da ist lautter friponerie undt interesse bey. Es ist mir lieb, daß die fürstin von Ussingen wider woll ist. Ich höre gern, wen Ihr viel tisch mitt spiller habt; den daß vertreibt die melancolische gedancken. Ich muß lachen, daß der Lutzenburger[18] jetzt auch ein graff ist; hab dießen graffen page bey dem letzt verstorbenen printz de Conti gesehen. Man hatt hir sehr drüber gelacht, daß man ihm[19] dem churprintzen von Saxsen zum hoffmeister geben; aber unßere Teütschen haben daß, alles halten sie vor perfect, waß nur auß Franckreich kompt. Verstandt hatt der Lutzenburg, aber seine moeurs schicken sich gar nicht zu einem hoffmeister von einem churprintzen.
Umb 3/4 auff 8 nachmittags.
Hertzallerliebe Louisse, es ist eine viertelstundt, daß ich von taffel kommen, werde wenig schreiben können, ehe wir in kirch müßen; den da leütt man zum ersten mahl undt zum 2ten fengt die vesper ahn, muß mich also sehr eyllen, in der[20] kirch zu gehen, kan nur, wie schon gesagt, nach der kirch meinen brieff außschreiben. Da leütt man zum zweytten mahl.
Donnerstag umb halb 5 abendts.
Alle gebetter seindt gesagt. Daß wetter wirdt kalt undt ein dunckel, heßlich wetter. Waß ist daß vor ein fürst von Fürstenberg, so cammerrichter ist? Ich kene viel Fürstenberger, aber von dießem habe ich nie gehört. Mein gott, wie ist es eine verdrießliche sach mitt den protzessen! Daß könte ich ohnmöglich außstehen. Aber da kompt der pere de Ligniere[21], ich muß noch eine pausse machen. [321]
Donnerstag umb halb 7 abendts.
Wie ich vor einer halben stundt herre[i]n kam, auß der beicht kam, bracht[e] man mir einen großen brieff von unßerer hertzogin von Hannover von Challon[22]; sie wirdt biß montag herkommen. Ich will sagen, daß sie biß montag zu Paris sein wirdt. Biß dinstag werde ich sie außruhen laßen undt biß mitwog zu ihr. Biß donnerstag, wo mir gott leben undt gesundtheit lest, werde ich Eüch, liebe Louise, berichten, wie ich sie gefunden. Jetzt aber komme ich wieder auff Ewer liebes schreiben, wo ich geblieben war, wie der pere de Ligniere hereinkommen. [In] jetzigen zeitten ein gerechten richter ist etwaß gar rares; den man gemeinlich über ungerechtigkeit klagen hört. Ewere gedult kan ich nicht begreiffen, Eüch mitt die schombergisch processen zu quellen. Ewere niepcen solten Eüch gewiß woll hoch verobligirt [sein]. Man hört undt sicht nicht[s] mehr von den freüllen von Zoettern; weiß nicht, wo sie hinkommen sein. Wen ich madame la princesse sehen werden, will ich sie fragen, wo die armen menschen mitt ihren geschwinden reden hinkommen sein. Die jüngste fehlt eben nicht von verstandt, aber die elste, fürchte ich sehr, wirdt gantz von sinnen kommen; sie sicht schon gar übel dr[e]in undt ihre augen versprechen nichts guts[23]. Es wirdt ein mir[a]cle sein, wo daß arme mensch nicht ahn ketten stirbt. Die graffschafft ist nicht vor dem hertzog von Lotteringen, so der hertzog kauffen will, ist nicht vor ihm, sondern vor seinen großen favoritten, den Craong[24]. Ich kan daß meiner dochter mitt warheit nachsagen, sie ist daß beste mensch, so man finden mag. Der hertzog were auch gutt genung, wen er nicht so abscheülich von der Craong verliebt were, welches meiner armen dochter manche hertzenleydt verursachet. Der man, ich will sagen der Craon, ist ein bößer, falscher gesel[25]. Aber so gehts in der weldt; ein jeder tregt sein creütz, eines auff eine art, daß ander auff ein ander. Meine dochter hatt einen[26] große passion vor ihrem herrn. Alle leütte, so meine enckelen in Lotteringen sehen, versichern mich, daß es artige kinder sein. Der baw von Luneville[27] [322] geht gar langsam von statten. Die graffschafft, so man kaufft, mag woll ursach dran sein. Der wührt[28] zu Franckfort muß gutte zähn haben, ein ohrläpel so bladt herunderzubeißen können. Es ist noch beßer daß ohr, alß wens die naß geweßen were. Wen ich nur beßere knie hette, so were ich gar gesundt. Aber ich glaube, daß in meinem alter man von solchen sachen nicht courirt; [man hat] nur gott zu dancken, wens nicht schlimmer wirdt. Hiemitt ist Ewer zweyttes liebes schreiben auch vollig beantwordet, bleibt mir nichts mehr überig, alß Euch zu versichern, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 30. Oktober 1720 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 5 (1879), S. 315–322
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d05b1170.html
Änderungsstand:
Tintenfass