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Brief vom 31. August 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1048.


[221]
St Clou den 31 Augusti 1719 (N. 16).
Hertzallerliebe Louise, ich habe Eüch schon vergangen sontag gesagt, wie daß ich Ewer liebes schreiben vom 15 Aug., no 65, zu recht entpfangen habe. Von meinem husten werde ich nichts mehr sagen; den Ihr werdet nun schon woll durch meine schreiben [222] ersehen haben, liebe Louisse, daß ich lengst wieder, gott seye danck, in volkommener gesundtheit bin, ob zwar in St Clou undt Paris alles voller krancken ist. Vergangen montag wolte ich, wie ordinarie, ins bois de Boullogne zu Chausseray[1], aber alle meine kutscher, vorreütter, beyläuffer undt stallknecht wahren so kranck, daß ich zu St Clou bleiben muste. Die mich gestern geführt haben, sehen mehr todten, alß lebendigen, gleich. Die rohte ruhr undt ahnsteckende hitztige fieber regieren überall. Es ist abscheülich, wie viel leütte sterben; man hört nichts anderst, alß von unglück undt betrübtnuß. Ein armer gärtner drunten hatt sein vatter undt mutter, die liegen auff den todt undt seine fraw ist auff einen stutz närrisch worden, leüfft tag undt nacht, man muß allezeit bey ihr sein; den sie will alß ins waßer lauffen. Wo man sich nur hinthret, sicht man betrübte gesichter, außer mein enckel, der duc de Chartre; der ist gar lustig undt erfrewet. Ich weiß nicht, ob ich Eüch letzte post geschrieben (den ich habe gar ein schlim gedächtnuß undt daß wirdt täglich ärger), daß mein sohn daß gouvernement von Dauphiné vom duc de la Feüilliade[2] 800/m. livre gekaufft vor seinem sohn, den duc de Chartre, 500/m. vor daß gouvernement undt 100/m. thaller vor le brevet de rettenue, so der duc de la Feüilliade hatte[3]. Alle gouverneurs de provintz[4] haben capitaine des gardes, also hatt man meinem enckel gestern auch einen geben, so er mir mitt freüden pressentirt[5]; es ist deß marquis [223] Do[6] sein dochterman, welche dochter bey der duchesse de Berry geweßen undt welche bey ihr in ungnaden kommen war wegen der bößen favorittin, der Mouchi[7]. Madame d’Orléans hatt sie in der zahl von ihren damen ahngenohmen. Daß ist daß eintzige, so wir neües hir haben. Seyder dieße 6 tagen ist gar nichts neües vorgangen, alß viel sachen in den financen, so ich nicht verzehlen kan; den ich begreiffe es nicht. Nur daß weiß ich, daß mein sohn ein mittel gefunden mitt einem Englander, so monsieur Law heist, aber die Frantzoßen heißen ihn monsieur Las, diß jahr alle deß königs schulden zu zahlen, so auff 2 mahl hundtert taußendt millionen[8] außlauffen. Der junge könig wirdt also auß einen armen könig ein gar reicher werden. Es ist aber auch woll einmahl zeit, daß ich auff Ewer liebes schreiben komme. Nichts in der welt ist mir ungesundter, alß trawerigkeit, undt ich hatte die letzte 14 tag, so die arme duchesse de Berry gelebt, meine zeit gar trawerig, voller schrecken undt betrübtnuß a la Meutte zugebracht; daß hatt mir daß miltz voller verbrandten galle gesteckt, daß hatt mich kranck [gemacht;] den so baldt mir monsieur Teray mitt seinem bittern grünen safft daß miltz 14 mahl braff gelehrt, bin ich wider frisch undt gesundt worden. Ich habe, gott lob, noch eine gutte natur, komme gleich wider zu recht. Ich fürchte, ich werde nur zu lang leben; den ich habe ein großem abscheü vor ein hohes alter, alß vor den todt selber. Bin Eüch doch, liebe Louise, sehr verobligirt vor Ewern woll meinenten wunsch. Ich sehe leyder nur gar zu woll, daß ich mich leyder gar nicht vor dieße welt schicke; ich mache ihnen lange weill undt sie divertiren mich gantz undt gar [nicht], kan mich gar nicht ahn die itzigen zeitten undt maniren gewohnen. Ich habe 2 monsieur[9] von Gemingen hir gesehen, einen gar langen undt einen mittelmäßiger taille (ich weiß nicht, welcher von beyden es ist, so mitt Eüch gesprochen) in meinen alter undt voller kinderblattermahler, wie auch ein maull voller gelbe gebrochene [224] zähne undt dabey eine heßliche taille. Wie ich nun bin, kan man gar nicht woll außsehen; man sicht [mir] meine 67 jahre gar woll ahn. Vor den leütten scheine ich nicht trawerig, liebe Louise, aber in der that bin ich es doch rechtschaffen. Warumb solte ich andern leütten entgelten, wovor sie nichts können? daß were nicht billig. Unßer herrgott hatt Ewer gebett, liebe Louise, gar woll erhört; den, wie schon gesagt, so bin ich in volkomm[en]er gesundtheit. Die hitze continuirt hir auch den tag über, morgendts undt abendts aber ist es kühl. Ich glaube nicht, daß die ruhr starcker zu Heydelberg sein kan, alß sie jetzt hir zu Paris undt St Clou ist. Es ist mir leydt, daß die fraw von Zachman dran kranck ist. Daß ist eine schlechte préparation zum neüen heüraht. Hir courirt man viel leütte mitt ein gar gering remede, man lest milch kochen, mitt einem eydotter drin geschlagen undt rossenwaßer, undt daß warm gedrunken. Gar viel leütten bekompts woll. Wo logirt man jetzt zu Manheim, nun keine cittadel noch schloß mehr vorhanden? Ich bilde mir ein, es seye im zolhauß ahn dem Neckerthor. Ich erinere mich noch, daß ich vor 61 jahren, daß ich einmahl mitt I. G. dem churfürsten nach Manheim fuhr. Es war noch keine cittadel damahl dortten (Ihr undt Carolline wahret noch nicht gebohren, aber Carllutz war schon gebohren); da logirte man in dem zollhauß, hatte kleine cammerger. Daß war meine zweytte reiß; ich war schon vorher zur Neüstatt geweßen undt ich erinere mich, daß mein bruder s. undt ich mitt einander fuhren, unßere hoffmeister undt hoffmeisterinen, undt ein baum schlug die imperialle[10] von der kutsch ein; da wolten wir unß kranck lachen, mein bruder undt ich wolten unß kranck lachen. Ich meinte, Churpfaltz liebte keine ceremonien. Warumb will er den ceremonien mitt seinen herrn bruder, den churfürsten von Trier, machen? Ich weiß Churtrier danck, sie nicht zu lieben. Ist Churtrier nicht auch teütscher meister? Zu Mergenthal[11] bin ich auch einmahl geweßen. Waß ich ahm artigsten [fand,] ist ein gärttgen im zweytten stockwerck auff einer altan, daß gantz voller blumen war, recht artlich; im über[igen] erinere ich mich dießes schloß nicht mehr. Ich finde recht schön, waß der bischoff von Würtzburg in seinem todt gethan [225] mitt seinen domestiquen. Sein bruder muß eine große lust zum ehestandt haben, gleicht unß beyden hirin nicht. Mein gott, wie kan sich ein man resolviren, ein andere fraw [zu nehmen], wen er eine ahngenehme, tugendtsame undt gescheydte fraw gehabt hatt! Aber wer 3 genohmen, kan auch woll eine 4te nehmen. Ich glaube, ich habe Eüch schon geschrieben, liebe Louise, wie daß daß schloß über ist zu St Sebastien, so man vor unüberwindtlich gehalten hatte; aber bomben seindt in die cithern[12] undt ins pulver gefallen, da haben sie sich woll ergeben müßen. Mein dochter schreibt mir, daß Mercy nicht todt ist. Es ist nicht zu verwundern, wie die duchesse de Berry schulden gemacht hatt. Sie hatte einen impertinenten jungen menschen[13] bey sich undt ein ehrvergeßen weib[14], so mitt dem jungen menschen zugehalten; die haben alles sich geben machen, daß hatt schulden über schulden gemacht; den daß gantze hauß hatt drüber gelitten[15]. Sie haben eine solche authoritet über sie gehabt, daß sie ihnen nie nichts abgeschlagen hatt. Aber ich muß nun eine pausse machen; dießen nachmittag werde ich außschreiben.
Donnerstag, den 31 Aug., umb halb 5 abendts.
Die duchesse Dursch[16] ist mitt mir eßen kommen undt hatt hernach lang mitt mir gesprochen. Darnach ist der pere de Ligniere[17] kommen, der hatt mich bißher gehalten; nun muß ich in kirch. Dießen abendt nach der promenade werde ich, obs gott will, dießen brieff beantwortten.
Donnerstag, umb 7 abendts.
In dießem augenblick komme ich von dem spatziren, habe anderthalb stundt in caleschen spatzirt undt seyder eine halbe stundt [226] zu fuß in der orangerie. Nun will ich Eüch ferner entreteniren, liebe Louise! Ich war ahn die duchesse de Berry geblieben, die ihre leütte so bestollen haben; sie hatt aber alles gar guttwillich geben. Hette ich eine sichere gelegenheit, würde ich Eüch ein mehrers hirvon verzehlen; aber ob zwar diß unglück der gantzen welt kündig ist, so schickt es sich doch nicht in meine feder; nur daß sagen, daß ich sehr getrost über meiner encklin todt bin durch alles, waß ich von ihr seyder ihrem todt erfahren hab. Ich habe jezunder einen gar ehrlichen man zum schatzmeister; er ist 11 oder 12 jahr mein ausmonier[18] geweßen, hatt sich hernach geheüraht. Er war kein pfaff, noch prister, wie Ihr woll dencken könt, nur abbé ohne orden. Gestern habe ich ein schreiben von Ewer niepce, die comtesse d’Holdernesse[19], bekom[m]en; sie sagt, sie wolle einmahl herkommen. Aber die printzes von Wallis schreibt mir, daß graff [von Degenfeld] erster tagen hir sein wirdt; werde froh sein, ihn zu sehen, weillen er Eüch so lieb ist undt auch weillen er herr Max her sohn ist. Ich finde eben, wie Ihr, daß es recht schimpflich ist, daß christliche religionen nicht einiger sein, alß man sie sicht. Daß machen die verfluchte pfaffen; die seindt ahn alles unheil schuldt, so in der welt geschehen ist undt geschehen wirdt. Ich habe zu Coubert vor etlichen tagen gejagt, bin durch undt durch geritten; allein es ist mir gar nicht schön vorkommen. In den schönsten alléen war korn undt habern gesehet[20] undt daß hauß sahe auß, wie ein hauß in decret[21]. Ich glaube nicht, daß es dem graff Degenfelt gefahlen wirdt; mir hatt es nicht gefahlen. So baldt graff Degenfelt hir wirdt sein, will [ich] die leütte, so Coubert gern kauffen wollen, ahn ihm adressiren. Gestern habe ich zimbliche frische brieffe auß Englandt bekommen. Daß schreiben von unßerer printzes von Wallis ihrer war vom 13/24 dießes monts, also nur 5 tag alt. Ihr schreibt mir nicht, waß der neüe Virgillius kost; es ist aber nicht der, so ich gern hette; den der ist anno 1668 gedruckt worden undt anno 1669 habe ich ihn zu Heydelberg geleßen[22]. Ich habe heütte Ewer liebes schreiben vom 19 Aug., no 66, entpfangen nach dem eßen; daß werde ich vor zukümfftigen [227] sontag sparen, so mir gott leben undt gesundtheit verleyet. Ich bin heütte gritlich wie eine wandtlauß undt woll mitt recht; den ich habe heütte nachmittag erfahren, daß mein sohn den verfluchten duc de Richelieu auß der Bastillen gelaßen undt wider auff freyen fuß gestelt hatt, ob er zwar seine untrewe selber gestanden[23]. Daß thut seine zitterkopffigte gemahlin. Ich zweyffle nicht, daß sie es so weit bringen, daß ihr bruder undt bruders gemahlin auch loß gelaßen wirdt werden, undt den[24] wirdt weder mein sohn, noch sein sohn in sicherheit ihres lebens sein, wie man nur gar zu woll weiß. Da segt[25] Ihr woll, daß ich große ursach habe, gritlich undt unlustig zu sein; kan nichts mehr vor unlust sagen. Adieu! Ich ambrassire Eüch von hertzen, undt in welchem humor ich auch sein mag, so werde ich Eüch doch von hertzen lieb behalten, hertzliebe Louise!

A madame la comtessse de Degenfelt a Londre,

Condid street by Honover square, Pony post[26].

A St Clou, ce vendredy, 1 de Septembre 1719.
Madame la comtesse, il y a deja quelque temps que j’ay receue Vostre lettre du 20 de Juillet vieux stille, mais il m’a estés impossible dy faire plustost responce, car Vous croyes bien que dans ces tristes occation je n’ay manques ny de lettre de condoleance, ny de vissittes. Sans cela je n’orois pas manquée plus tost de Vous remercier de la part que Vous aves prisse dans mes paines pandant que Vous Vous esties si accables de Vostre propre affliction, comme aussi de tout Vos bons souhaits. Quand j’ay eüe soin de Vous conserver en ces pais cy cequi Vous est si legitimmement deü, je n’ay fait que ce que je devois. Je suis bien aisse de savoir que feu monsieur le duc de Schonburg avoit un brevet. J’ay receü, il y [a] [228] deux jours, une lettre de Vostre soeur. Ne craignes [Vous] de faire voyager Vostre fille trop tost? Car lair de la mer au mois de 7br doit estre violent. Je n’escris a monsieur le comte de Degenfelt parce que madame la princesse de Galle le croit deja partis pour venir icy; ainsi je luy feres responce. Je me faits un grand plaisir de Vous voir tout deux et de Vous assurer que je suis, madame la comtesse,
Vostre bien bonne amie
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Brief vom 31. August 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 221–228
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1048.html
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Tintenfass