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Brief vom 5. November 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1067.


[295] St Clou, sontag, den 5 November 1719, umb 7 morgendts (N. 35). Hertzallerliebe Louise, ich weiß nicht, ob [ich] heütte schreiben von Eüch bekommen werde; den alle posten gehen langsamer, alß ordinarie. Die brieffe auß Englandt, so ich freytag hette haben sollen, seindt erst gestern ahnkommen undt daß paquet von Piedmont ist noch nicht kommen. Kompt Ewers noch dießen nachmittag, liebe Louisse, werde ichs Eüch berichten, nun aber auff Ewer liebes schreiben vom 21 October, no 83, kommen. Aber ehe ich auff Ewer liebes schreiben komme, muß ich sagen, daß ich gestern zu Paris geweßen, fuhr ich ins Carmelittencloster, wo ich die gutte, arme madame Dangeau fundt, die man nicht ohne threnen ahnsehen kan; sie ist ihn einer betrübtnuß, einen stein zu erbarmen, will geschweygen dan die, so sich vor sie interessiren, wie ich thue; habe sie recht lieb, den sie ist eine gutte, ehrliche, gottseeliche dame, die woll meritirte, glücklicher zu sein, alß sie ist; jammert mich woll von hertzen. Ich bliebe eine gutte stundt bey ihr, hernach fuhr ich au Palais-Royal, besuchte madame d’Orléans; die hatte ihren man undt sohn bey sich. Umb 1 ließ ich mich nauff in mein apartement tragen, wo mademoiselle de Valois, de Monpensier undt de Baujaulois hinkammen; wir gingen mitt einander ahn taffel, [296] wie auch madame de Chivernie[1]. Meine 3 damen, so in meiner kutsch kommen wahren, alß madame de Brancas, Chasteautier[2] undt Lenor[3], undt die marechalle de Clerembeau[4], so in ihrer kutsch kommen undt hatt die schwangere fraw madame Börstel geführt; die fahren nicht so geschwindt alß ich; den die erste ist vorgestern in ihr 86 jahr getretten, hatt noch gutt gedachtnuß undt den verstandt, wie sie ihn vor 50 jahren gehabt, aber sie wirdt ahm leib schwach, geht ahn stock, welches aber nicht zu verwundern ist. Nach dem eßen blautterte ich ein halb stündtgen mitt meinem sohn, ging hernach zur marquise Dalluye[5], so im ersten hoff im Palais-Royal logirt; die ist eine dame, auch gar nicht von den jüngsten; den sie ist auffs wenigst 84 jahr alt, wirdt nun kräncklich, ist aber auch gar nicht kindisch, ist die beste fraw von der welt. Es ist mir recht leydt, daß sie so krancklich wirdt, fürchte, es wirdt baldt hapern; doch funde ich sie gestern beßer, alß daß letzte mahl, da ich sie gesehen. Von dar stieg ich in kutsch undt fuhr zum könig; den habe ich, gott sey dannk, frisch undt gesundt gefunden. Hernach fuhr ich wider nach hauß; da bekame ich vissitten von duchessen, die von Monbasson[6] undt Saller[7]; ich führte sie mitt mir in die ittalliensche commedie, so les 4 harlequins war; ist all possirlich. Umb 8 ging es zum endt. Da kam mein sohn so matt undt müde, daß er mich recht jammerte; hatte von 7 morgendts biß 8 abendts gearbeydt, nur daß halb stündtgen ohne arbeytten gehabt, so er mitt mir gesprochen. Ich glaube, es were leichter, zu pflügen, alß eine solche quahl zu haben; undt waß noch daß betrübtste von dießer sachen ist, ist, daß mans ihm kein danck wißen wirdt, sich so erschrecklich geplagt undt bemüht zu haben; den der junge könig ist umbringt mitt lautter leütten, so meinen sohn ärger, alß den teüffel, haßen. Gott stehe ihm bey! Nun ist es auch einmahl zeit, daß ich auff Ewer liebes schreiben komme. Ich habe so ein lang preambule gemacht, weillen ich hoffe, daß es Eüch ein wenig amussiren wirdt, zu wißen, waß ich gestern den gantzen tag gethan. Im chiffer habe ich nicht gefehlt, alßo muß Eüch mein schreiben vom 12 October, no 28, noch außstehen. Der verlust ist nicht groß; ich glaub aber, wo ich den 12. 29 gesetzt, [297] hab ich mich verschrieben, undt daß von 15, sontag, wirdt auch vom 29 datirt sein. Ich bitte Eüch, liebe Louisse, last mir wißen, ob Ihr es nicht so werdt gefunden haben! Man muß mich im chiffriren interompirt haben; den in meinen calender stehet es recht. Hette ma tante, die printzes von Tarante[8] biß her[9] gelebt, würden I. L. sehr viel hertzenley[d] ahn dießem enckel[10] erlebt haben; den er war gar nicht woll gerahten. Ich habe all mein bestes bey ihm gethan, ihn ein wenig auff einen gutten fuß zu stehlen[11]; aber es hatt nichts geholffen; ich habe ihn offt außgemacht wie einen hipenbuben[12], insonderheit wen ich ihn in lügen ertapt, wozu er abscheüllig geneygt ware; machte historien von einem endt zum andern. Sein oncle, der printz Tallmont[13] undt [ich] haben ihm nichts vorbeygehen laßen; es hatt aber nichts geholffen; hatte allezeit schlime geselschafft undt war erschrecklich desbeauchirt; mitt einem wordt, es ist kein schadt, daß er gestorben. Er deüchte nicht[14], war dabey heßlich undt unahngenehm. Ich hatte ihn mitt les Estats de Bretagne auß der tauff gehoben, drumb hieß er auch Charle [de] Bretagne. Er hatt ein eintzig sohngen hinterlaßen, so so schon undt ahngenehm ist, alß der vatter heßlich undt unahngenehm. Gott gebe, daß er ihm so wenig innerlich, alß eüßerlich gleichen machen[15]! Daß er seiner mutter eüßerlich gleicht, geht woll hin, wen er ihr auch nur nicht[16] innerlich gleicht; den sie deüchte auch gar nichts, ist ahn den pocken gestorben. Die gantze famille wolte sie scheyden laßen; den der man hatte sie selber bey ihrem eygenen cammerdiner liegen funden. Sie war schlaue, hatte verstandt, wuste, daß ihr man schulden hatte, geht undt unterschreibt sich vor ihm; daß hatt dießen einfaltigen tropffen so touchirt, daß, wie man sie scheyden wolte, sagt er: Non, nous [nous] sommes raccommodés, hatt sie alßo biß ahn ihr endt behalten. Hirauß segt Ihr, liebe Louise, welch ein fein coupel[17] es ware undt ob ich große ursach gehabt, diß schonne par zu regrettiren. In meinem letzten schreiben habe ich Eüch explicirt, wer der abbé de St Albin ist, undt [298] seinen bruder, den chevallier d’Orleans, so nun grand prieur ist. Der ihn zum coadjouter[18] ahnkommen[19], will in seinem 60 jahr den geistlichen standt quittiren undt sich heürahten, will eine englische dame heürahten. Ich glaube aber nicht, daß es ahngehen kan, weillen er sein gelübte gethan, da er schon über 50 jahr alt war, undt felt in stücken von den Frantzoßen[20]. Die kinderblattern regiren arger, alß [nie]; deß generals de Bonneval fraw, so deß marquis de Birons[21], meines sohns oberstallmeisters, dochter ist, hatt sie gestern bekommen undt ist abscheülich kranck dran. Ich habe sie vor wenig tagen gesehen; da sahe sie recht woll auß, habe sie nie beßer gesehen. Vor Ewere gutte wünsche dancke ich Eüch sehr. Vor mich habe ich dieße wüste kranckheit nicht mehr zu fürchten, habe sie gar zu abscheülich gehabt, umb zu fürchten können, daß ich sie wider bekommen mag; zudem so bin ich persuadirt, daß man nichts entgehen kan. In Englandt haben die bößen seüchen auffgehört. Es were doch einmahl zeit, daß es auffhört; den es ist mir alß bang vor den könig undt mein sohn, so dieße heßliche kranckheit nie gehabt haben. Gott wolle [sie] gnädig davor bewahren! Es regirt zu Paris noch gar eine wunderliche kranckheit. Gestern besuchte mich ein cavalier, den ich lengst kene, der ein pfeyller vom opera ist; er heist monsieur de Laumau[22]; den hatt ich ein par mont nicht [gesehen], kompt sonsten gar fleißig zu mir, hatt eine charge von [meinem] hauß vor 20 jahren bey mir kauffen wollen; ein ander aber gab mehr gelt, bekam also die charge, wie es brauchlich ist; dießer regnet[23] sich noch wie ins hauß, kompt also offt zu [mir]. Es ist ein kerl, so überal herumbgereist, biß in Turckey, kan also gern plaudern undt viel verzehlen, plaudere also gern mitt ihm. Die Frantzosen deügen[24] mehr undt wißen beßer zu leben, wen sie gereist haben, alß wen sie im landt bleiben. Diß ist aber ein langer umbschweiff, ehe [ich] ahn die kranckheit komme. Ihr kontet mir sagen, wie in der comedie: Au fait, advocat, au fait! Le fait ist den, daß ich Laumau fragte, warumb man ihn so lang nicht gesehen, sagte im lachen, ob es eben so eine schlimme ursach geweßen were, alß vorm jahr, da er die kinderblattern abscheülich bekommen. Er sagte, es were nicht viel, verzehlte, daß [299] er sich woll befunden undt a lombre[25] gespilt; im spillen wirdt ihm der kopff daußelich; auff einmahl springt ihm daß bludt auß der naß, den mundt undt den ohren herauß wie ein brunen. Man hatt ihm 5 mahl zur ader gelaßen, ist sehr mat undt bleich. Dieße avanture hatt ahnlaß geben, noch unterschiedtliche andere zu verzehlen, denen es auch so gangen, unter andern eine nonen in den Carmelitten; sie ist aber, gott lob, nicht von denen, so von meinen gutten freündinen sein. Die arme Chausseray, so donnerstag so woll war, hatt daß fieber wider bekommen; ich fürchte, es wirdt kein gutt ende nehmen, welches mir recht leydt sein solte. Graff Degenfelt hatt groß recht, von monsieur le Fevre zufrieden zu sein; er hatt [es] hübsch undt ehrlich gemacht undt große estime hir erworben. Ich fürchte, daß er in der that kranck geworden; den ich habe ihn lang nicht gesehen. Große gemächlichkeitten hatt man nicht zu Paris. Meinen advocatten habe ich einen großen gefallen gethan; ich habe ihm lettre de noblesse zuwegen gebracht. Vergangen freytag kamme er daher geloffen undt wieße mir sie, gantz gesiegelt, mitt großen freüden. Er ist gar ein gutter, ehrlicher man, hatt viel pratiquen, hatt verstandt undt ist sehr gelehrt. Ich gebe meinem gesicht den nahmen[26], welchen ich leyder nicht genung gehört; den es ist derselbe, welches[27] I. G. s. der churfürst, unßer herr vatter, mir alß geben, wie ich noch bey I. G. s. war. Daß were eine rar sach, wen ich im 62 jahr, daß man mich gemahlt hatt, schön geworden were, da ich es mein leben nicht im 15, noch 20sten jahr geweßen. Alle meine damen undt die fraw von Ratzamshaussen insonderheit finden, daß mein contrefait außsicht, alß wen ich jemandts außlachte undt einen muttwillen im kopff hette. Der elste bruder[28] von der faullen person[29] ists, der ihr den hirnkasten so verdirbt undt ihr allerhandt schlimme sachen in kopff gesteckt. Alle der Montespan kinder seindt schlimme leütte, außer der comte de Thoulouse[30], der ist ein ehrlicher man. Ihr werdet durch einen[31] meiner schreiben schon ersehen haben, wie man hir daß leichtfertig stück von Alberoni[32] schon weiß. Ich [300] sehe aber nicht, warumb man die sach so geheimb zu Wien halten will. Weiß man den nicht, daß Alberoni ein ertzschelm ist? Seinen herrn, den hertzog von Parme, hatt er ahn monsieur de Vandosme[33] verkaufft, monsieur de Vandosme ahn die printzes des Ursin[34], madame des Ursin ahn die königin[35]. Viel leütte wollen auch, daß er monsieur de Vandosme vergeben hatt. Wer solche stück thun kan, dem ist nichts zu viel. Der graff Altheim undt seine schwester jammern mich; den es ist eine betrübte sach; einen solchen man undt schwager zu haben, wie der graff Nimbtsch ist, der woll verdint, gerähdert zu werden. Daß hatt Alberonie, er nimbt allezeit viel leütte in seinen conspirationen. Aber nun muß ich eine pausse machen, mich ahnziehen undt in kirch gehen. Dießen nachmittag werde ich gleich nach dem eßen wider ahnfangen; den es regnet undt ist heßlich wetter, kan nicht außfahren, liebe Louisse!
Sontag, den 5 November, umb 5 uhr abendts.
Gleich nach dem eßen habe ich Ewer liebes schreiben vom 24 October, no 84, zu recht entpfangen, auch ein groß paquet von der königin von Sicilien bekommen, haben ahngefangen, zu leßen, aber noch nicht außgeleßen (der königin von Sicillien schreiben ist von 21 bogen), hernach bin ich in kirch betten gangen. Wie ich auß der kirch kommen, war es halb 5, habe Ewer liebes schreiben, undt waß Ihr mir mitt geschickt, außgeleßen. Daß fewerwerck finde ich schön undt magnifiq, die vers von der wirtschafft zimblich alber, aber alleß in allem gar zu magnifiq. Ich kan es so finden, aber mich deücht, daß es der keyßer nicht so finden solle, weillen es ihm ja zu ehren geschicht. Dancke Eüch sehr, liebe Louisse, vor alles, so Ihr mir geschickt habt. Daß ist alles, waß ich heütte auff Ewerm heüttigen brieff sagen werde, liebe Louise, komme wieder, woran ich heütte morgen geblieben war, nehmblich ahm heßlichen [wetter]. Daß wetter hatt sich zwar auffgeklärt, aber mitt einem so scharpffen undt kalten windt, daß ich nicht habe außfahren können. Ich glaube, daß es dieße nacht wirdt ahnfangen, zu frieren. Ich komme wieder auff Ewer liebes schreiben undt sage von hertzen amen auff dem wunsch, so Ihr vor dem keyßer thut; den ich haße [301] den krieg abscheü[lich], undt wen, wie in dem evangellion stehet, die friedtsamen gottes kinder heyßen können[36], so könt ich mitt recht dießen nahmen führen, den ich bin sehr friedtsam, haße in der welt nicht[s] mehr, alß krieg, zanck undt zweytracht. Auß waß ursachen helt sich der graff Windischgrätz[37] mitt seiner gemahlin so eingezogen? ist er kranck? Ich habe kein wordt davon gewust, daß mein armer vetter, printz Wilhelm, sein printzgen verlohr[e]n; daß wirdt gewiß den alten landtgraffen auch sehr betrüben. Man hört überall von nichts, alß unglück undt betrübtnuß. Solche zeytten, wie seyder etlichen jahren her sein, habe ich mein tag nicht erlebt; daß verley[d]et einem schir daß leben. Die freüden von Dreßden, da hette ich mich woll nicht bey gewünscht, muß ein ewiger zwang geweßen sein; den wen, mett verlöff, met verlöff, wie die alte fraw von Woltzogen alß pflegt zu sagen, man überall hübsche, saubere kackstühl oder heimliche gemächer hatt, wo man, wens nöhtig, einen abtritt nehmen könte, so finde ich alles schön; aber wen einem große noht ahnkompt undt man fest halten muß, findt man alles heßlich undt wolte lieber hundert meill davon in einem bawernhauß sein undt nichts, alß kühe, schwein, schaff undt hüner undt ganß[38] sehen, alß daß schönste fest undt bal sehen, so einem nur beschwehrlich ist; den man muß man auch[39] gebutzt sein, schwere kleyder ahnhaben, welches ich abscheülich haße. Suma, auß dießem allem secht Ihr, liebe Louise, daß ich dieße lustbarkeit niemandts mißgönne. In dießem augenblick kompt man mir sagen, daß meine arme Suson[40], die Ihr woll kent, deß Clair seine fraw undt meiner seugamen dochter, auff einmahl ohne sprach geworden; man weiß nicht, ob es ein schlagfluß ist, oder waß ihr fehlt. Sie jamm[e]rt mich recht, die arme fraw; sie fragt alß so fleißig nach Eüch. Es ist eine gutte fraw; sie ist heütte noch den gantzen morgen bey meiner toillette geweßen, war gantz lustig, hatt mitt der fraw von Rotzenhaussen ges[ch]wetzt undt gelacht. Man hört undt sicht nichts, alß unglück; es ist betrübte zeit. Man kompt, mir alleweil sagen, daß sie wider spricht undt beßer ist; man meint nicht, daß sie sterben wirdt. Ich weiß gantz undt gar nichts neües, [302] muß also vor dießmahl meine espistel enden; sie ist doch ja die kleinste nicht. Gutte nacht den, hertzliebe Louise! Ich ambrassire Eüch von hertzen undt werde Eüch all mein leben recht lieb behalten.
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 5. November 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 295–302
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1067.html
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Tintenfass