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Brief vom 16. April 1719

von Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans
an Raugräfin Louise zu Pfalz


1010.


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Paris, sontag, den 16 April 1719, umb 7 morgendts (N. 77).
Hertzallerliebe Louise, gestern abendts habe ich Ewer liebes schreiben vom 4 dießes monts zu recht entpfangen, werde aber erst zukünfftige post, wo mir gott daß leben verleyet, drauff antwortten, heüte aber auff daß vom 28 Mertz, no 25; nur daß auff daß letzte sagen, daß ich Eüch schon geschrieben, daß mein sohn befohlen, daß man die lettre de naturalité vor die fürstin von Ussingen verfertigen solle. Ich habe Wendt gefragt, waß ihm seine lettre de naturalité gekost haben, umb seiner frawen gütter zu erben können. Sie haben ihm zwey taußendt livres gekost wegen der siegel. Ob fürsten mehr, alß edelleüte, zahlen, weiß ich nicht. Ich dancke Eüch sehr, liebe Louise, vor alle Ewere gutte wünsche. Meine gesundtheit erhelt sich, gott seye danck, gar woll, unahngesehen meinen vie[l]fältigen sorgen undt chagrin, die sich taglich vermehren. Gutte sachen hören auff, aber gar böße selten. Liebe Louise, die welt wirdt alle tag ärger undt schlimmer undt boßhafftiger. Zu meiner zeit sagte man in der Pfaltz daß sprichwordt nicht, wie jetzt undt wie Ihr es schreibt, daß, wens den leütten zu woll geht, so fangen sie waß ahn, sich zu verderben. Man sagt: Wens der geiß zu wohl geht, so geht sie auffs eyß undt bricht ein bein[1]. Man sagt hir, daß man verspürt hatt, daß in allen regensen man sich so maußig gemacht hatt undt allezeit rebellirt hatt. Wo kein könig regirt, bildt sich ein jeder ein, er müße regieren. Sie haben daß rebelliren ahngefangen vor deß königs todt, [088] wie man auß allen den briffen sicht, so man in den rebellen-kisten undt in deß spanischen abgesanten seine gefunden, also die enderung von müntz nicht dran schuldig. Mein sohn hatt den könig, wie er in die regence getretten, mitt zweymahl hunderttaußen[d] millionen schulden gefunden[2]. Er hatt woll mittel suchen müßen, solche zu zahlen, hatt auch schon die helfft von dieser schult abgelegt. Solle man ihm nicht danck wißen, waß gemacht zu haben, so den popel nicht beschwehrt undt nur auff reichen fallen kan? Wo seindt in Franckreich die gutt meinenten vor ihren …? Außer mein sohn undt den comte de Thoulouse weiß ich kein eintzigen. Mein sohn thut sein bests, wie daß sprichwort sagt, wie ein[e]r, der allein geicht[3]. Vor interessirt kan man ihn woll nicht halten; den er hatt auff seine eygene pension alß regent renoncirt, dem könig keine zu große despence zu machen[4]. Waß im überigen ist, habe ich wenig guts zu hoffen; den in Franckreich muß mehr forcht, alß lieb, sein undt die leütte zu recht …[5]. Aber mein sohn ist zu gutt; er kans nicht über daß hertz bringen, sich förchten zu machen, undt daß wißen seine feinde nur zu woll. Den tag, wie er obligirt [worden,] den jungen duc de Richelieu in die Bastille [zu schicken,] war er betrübt, alß wen ihm selber ein unglück [begegnet wäre.] Undt dießen bößen buben solte er weniger beklagen; den der kleine schelm ihn gar offt ahn respect manquirt undt so vom[6] [ihm] undt seinen tochtern gesprochen, daß dieß allein ohne daß große verbrechen ahm staadt die Bastille meritirt hette. Aber da lacht mein sohn nur über, macht mich recht ungedultig mitt, vexirt mitt seiner 3ten dochter, daß dieß bürsch[ch]en sie lorgnirt, ahnstatt böß zu werden. Ich habe ihm doch meine meinung dichte drüber gesagt undt ihn beschambt gemacht. Niemandt schambt sich hir im landt, undanckbar zu sein; es ist, alß wen sie es in die wette theten, wer es ahm meisten sein könte. Wo es nöhtig ist, muß man keine unruhe sparen; viel sachen seindt, so niemandts meinen sohn sagen will, drumb frag ich darnach, es ihm zu wißen thun können. Gott der almachtige erhöre Ewere gutte wünsche, liebe Louise, vor meinem sohn, wozu ich von hertzen amen sage [089] undt lieber, alß waß mich selber betrifft! Von Moscau weiß ich kein wordt. Der Czaar muß voll[7] geweßen sein, wie er dem armen mahler den kopff abgehauen hatt; den wen er nüchtern ist, solle er nichts mehr von der reüsischen barbar[e]y haben, aber wen er voll, kompts ihm wieder ahn. Baron Goertz jammert mich von waß wir[8] I. L. die printzes von Wallis von seines vettern todt geschrieben, hatt mich die threnen in den augen kommen machen. Sie schreibt mir, daß der hertzog von Holstein ihm vor seinem endt hette sagen [laßen,] er versichere ihn seiner ungnadt undt daß er sich sein leben weder sein[e]r 2 döchter, noch der seinigen ahnnehmen wolle; er möge sie recommandiren, ahn wen er wolle. Wie daß der arme Goertz gehört, solle er gesagt haben: Ist dan die welt so undanckbar, so sterb ich undt verlaße sie mitt freüden. Der hertzog wird nichts ahn mir verliehren. Weillen er die trewe dinner nicht erkenen kan, wirdt er auch nie keine bekommen, noch haben. Ist darauff gar vergnügt gestorben[9]. Mademoiselle de Monpensier hatt die kinderblattern nicht bekommen; die 2 kleine, so sie gehabt haben, kommen nun wider alle tag zu mir. Die kleine Beaujolois[10] ist poßirlicher undt artlicher, alß nie, undt gar nicht geendert. Madame la duchésse[11] ihre kranckheit kompt von viellen brandenwein-sauffen undt ohnmaßigen freßen. Wen sie ein wenig beßer ist, kan sie sich nicht im eßen undt drincken moderiren, schlegt also wider umb. Es ist wie ein miracle, daß sie noch leben kan; sie solle wie durchsichtig sein, hatt daß abnehmen. Sie ließ mir doch gestern sagen, sie hoffe mir baldt vor meine sorg vor sie zu dancken können. In dem plan von Schwetzingen finde ich beßer den alten bau von meiner zeit, alß in der elevation; war recht fro, die mühl wider zu sehen. Schwetzingen were beßer den frühling undt sommer zu bewohnen, alß Heydelberg; den man kan beßer dort spatziren im Ketzscher walt, welches ja eine recht schonne [090] promenade ist, wo er noch stehet, undt baldt wirdt man viel gutte ertberen dort finden. Im kleinen weltgen zwischen Schwetzingen undt Heydelberg seindt auch gar gutte, aber zu Heydelberg ahn berg seindt die heydelberen ahm besten. Bey Paris seindt keine zu finden; man bringt mir alle auß Normandie, seindt aber nicht so gutt alß bey unß, viel kleiner, druckener undt sawerer, alß in der Pfaltz. Der churfürst solte Friedrichtsburg wider bawen; daß würde ihm ja alle seine leütte wider logiren können, wo nicht in der festung, doch in der statt Manheim. Hiemitt ist Ewer liebes schreiben vollig beantwortet. Adieu, liebe Louise! Ewer lieber brieff ist mir gar nicht lang vorkommen. Ich muß noch ein par wort ahn mein dochter schreiben, Eüch aber nur noch vorher versichern, daß ich Eüch von hertzen lieb behalte.
P. S.
Hirbey schicke ich 11 louisdor, so man mir versichert die 34 rsd. machen sollen; den man hatts abgerechnet nicht nach dem wehrt, waß die louisdor hir gelten, sondern nach dem, waß sie zu Franckfort gelten. In dießen augenblick entpfange ich Ewer paquet mitt der beschreibung von carousel von mongen, wovor ich sehr [dancke], aber werde erst biß donnerst[ag], wo mir gott daß leben verleyet, andtworten.
In dießem morgen erfahre ich, daß die alte Maintenon vereckt ist, gestern zwischen 4 undt 5 abendt[12]. Es were ein groß glück [091] geweßen, wen es vor etlich undt 30 jahren geschehen were. [092]
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Empfohlene Zitierweise:
Brief vom 16. April 1719 von Elisabeth Charlotte an Louise zu Pfalz
in: Briefe der Herzogin …, Hg. W. L. Holland, Band 4 (1877), S. 87–92
Onlinetext URL: https://www.elisabeth-charlotte.eu/b/d04b1010.html
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